Der Schwur des Maori-Mädchens
du deine zukünftige Familie nur noch von hinten siehst. Und dann würdest du dich in meine Arme flüchten. Aber ich bin nicht gemein und wäre über so einen Sieg nicht froh. Meinetwegen bleibe sein Sohn. Mir ist das gleichgültig. Ich für meinen Teil könnte nie mit so einer Lüge leben!«
Fred betrachtete beschämt seine Schuhspitzen. »Verzeih mir! Aber ich kann nicht anders.« Er machte sich zum Gehen bereit, doch dann wandte er sich noch einmal um. »Ich bewundere dich, von ganzem Herzen, und bedaure, dass ich so feige bin.«
»Und ich bedaure, dass du nicht an dich glaubst. Dass du denkst, du könntest nur auf diesem Weg Erfolg haben. Ich hingegen bin fest davon überzeugt, dass ich es aus eigener Kraft schaffe, nicht in das ungeheizte Zimmer zurückkriechen zu müssen. Ich werde ein besseres Leben als meine Mutter führen, ohne die Menschen, die ich liebe, von mir zu stoßen ...«
Fred vermied es, sie anzusehen.
»Wenn ich noch irgendetwas für dich tun kann, sag es mir bitte«, seufzte er. »Hast du noch genügend Geld?«
Vivian überlegte einen Augenblick lang. »Doch, es gäbe da noch etwas. Meine zwei Koffer stehen noch im Haus des Bischofs. Und unter der Kleidung ist eine Börse mit Geld. Ob du heimlich alles zusammenpacken und mit zur Zeitung nehmen könntest? Sobald ich zurück in Auckland bin, werde ich dir eine Botschaft hinterlassen, wo du mir die Sachen übergeben kannst.«
»Gut, alles, was du willst, aber der Gedanke, dass du fortgehst, ist mir schrecklich.«
Vivian trat auf ihn zu und strich ihm über die blassen Wangen. Die roten Flecken waren aus seinem Gesicht verschwunden.
»Ich liebe dich auch. Trotz alledem! Aber es ist besser, wenn ich am anderen Ende der Welt mein Glück mache. Wir brauchen Abstand voneinander, den größten, den es gibt.«
»Aber schickst du mir wenigstens deine Adresse?«, fragte Fred bang. Dann verfinsterte sich sein Gesicht, denn bevor sie etwas erwiderte, kannte er ihre Antwort bereits.
»Nein, ich möchte nichts wissen über dein Leben. Stell dir nur vor, ich muss dann von kleinen Isabels oder Freds lesen. Es ist gut, wie es ist.«
Vivian stellte sich auf die Zehenspitzen und gab Fred einen Kuss auf die Wange. Er wollte die Gelegenheit beim Schopf packen und sie an sich ziehen. Sie wich ihm aus.
»Mach es gut, Bruder!«, raunte sie. Er aber konnte sich beim besten Willen nicht von ihrem Anblick losreißen.
»Man könnte glauben, dass du eine weise Frau bist«, murmelte er.
»Wer weiß? Vielleicht ist da ja etwas dran«, erwiderte sie geheimnisvoll lächelnd und wandte sich von ihm ab. Das Lächeln gefror ihr erst zur Maske, als Freds davoneilende Schritte endgültig verklungen waren.
Te Waimate, Januar 1845
Maggy saß auf der schattigen Veranda vor Miss Mortons Haus in einem Schaukelstuhl und schwitzte trotzdem. Seit ihr Bauch ständig wuchs, konnte sie die brennende Sonne nicht mehr vertragen. Deshalb war sie froh, dass es zu regnen begonnen hatte, aber die nötige Abkühlung ließ immer noch auf sich warten. Außerdem fühlte sie sich schrecklich behäbig. Jeder Schritt machte ihr zu schaffen. Überdies kamen ihr bei jeder Gelegenheit gleich die Tränen. Besonders wenn sie ihr schlechtes Gewissen überfiel, weil sie ihren Schwur doch gebrochen hatte. Gleich in der ersten Nacht in der Mission. Das ließ sie nicht mehr los. Weder bei Tag noch bei Nacht. Sie erinnerte sich an jedes Wort, obwohl es bereits über vier Monate her war. Noch einmal sah Maggy es vor ihrem inneren Auge: wie Ripeka an ihr Bett tritt und sie in den Arm nimmt. Wie eine Ertrinkende klammert sie, Maggy, sich an die Maori-Frau, und dann bricht es schluchzend aus ihr heraus. Lange, sehr lange. Ripeka wiegt sie wie ein Kind in den Armen. Das ist tröstlich. Sie kann endlich aufhören zu weinen.
»Sie haben dich fortgebracht, damit keiner merkt, was mit dir los ist, nicht wahr?«, fragt Ripeka.
Maggy möchte die Wahrheit hinausschreien, aber sie darf es nicht. Sie hat auf die Bibel geschworen. Sie schweigt, aber Ripeka bohrt weiter, während sie ihr wissend über den Bauch streicht. »Es ist nicht rechtens, dass sie dich verstecken«, raunt Ripeka.
Maggy hält die Luft an. Sie darf es nicht verraten. Sonst geschieht ein Unglück. »Weiß der Vater des Kindes davon?«
Maggy beißt die Zähne aufeinander.
»Sie haben dich ohne sein Wissen hergebracht, nicht wahr?«
Maggy weint lautlos in sich hinein. Im
Weitere Kostenlose Bücher