Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schwur des Maori-Mädchens

Der Schwur des Maori-Mädchens

Titel: Der Schwur des Maori-Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Walden
Vom Netzwerk:
reagiert hatte, hielt er inne. Er lauschte, aber alles war still. Sie schläft, dachte er, doch dann blieb sein Blick an dem vom vollen Mond beschienenen Bett seiner Schwester hängen. Ein eisiger Schrecken durchfuhr seine Glieder. Das Bett war leer, und die Bibel, die stets auf dem Stuhl neben ihrem Bett lag, verschwunden. Mit klopfendem Herzen tastete sich Matthew zum Kleiderschrank. Mit einem Griff fühlte er, dass ihre Kleidung fort war.
      Wie betäubt verließ er das Zimmer und wollte in die Küche eilen, als er aus dem Wohnzimmer lautes Fluchen vernahm. Vorsichtig öffnete er die Tür und warf einen Blick hinein. Was er dort sah, erschütterte ihn zutiefst. Im Schein einer Kerze trank sein Vater Wein aus einer Flasche. Und jedes Mal, wenn er sie für einen flüchtigen Moment absetzte, warf er mit Wörtern um sich, für die er, Matthew, hätte er sie benutzt, mit Sicherheit Prügel bezogen hätte. Das Gesicht seines Vaters wirkte grau und eingefallen, die Augen waren verquollen, das Haar hing ihm feucht und wirr vom Kopf, und auf seiner hellen Hose prangte ein hässlicher Fleck. Nichts erinnerte mehr an den stolzen, aufrechten Missionar, der eifrig das Wort Gottes lehrte.
      Abscheu hinderte Matthew daran, in das Zimmer zu stürzen und den Vater zur Rede zu stellen. Er wandte sich angewidert ab. Leise schloss er die Tür hinter sich und nahm sich vor, seine Mutter zu fragen, was für seltsame Dinge in diesem Haus vorgingen. Dem lauten Geklapper des Geschirrs nach zu urteilen, war sie immer noch in der Küche. Doch auch der Blick, den er in die Küche warf, erschütterte ihn. Laut schluchzend wusch seine Mutter die Gläser.
      Matthew schlug das Herz bis zum Hals. Er kämpfte mit sich, aber dann konnte er sich nicht länger beherrschen. Wie ein Racheengel stürmte er auf sie zu.
      »Du bist barfuß. Du wirst dich erkälten«, sagte Emily mit kaum verständlicher Stimme, als sie seine Gegenwart wahrnahm.
      »Wo ist Maggy?«
      »Wo sind deine guten Schuhe? Man geht nicht mit bloßen Füßen!«, erwiderte Emily matt, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen.
      »Wo ist Maggy? Ihr Bett ist leer, ihre Bibel ist fort und ihr Kleiderschrank ausgeräumt!«
      »Fort!«
      »Was heißt fort?« Matthew baute sich kämpferisch vor seiner zarten Ziehmutter auf.
      »Sie ist weg«, wiederholte sie, ohne aufzusehen.
      Matthew war wie erstarrt, bevor ihn eine so ungeheure Wut mit einer Kraft überkam, die ihn erzittern ließ. Ohne zu überlegen, packte er seine Mutter bei den Oberarmen, drehte sie grob in seine Richtung, sodass sie gar keine andere Wahl hatte, als ihn anzusehen.
      »Was heißt das?« Seine Stimme klang bedrohlich, und seine Augen funkelten gefährlich.
      »Lass mich sofort los! Du tust mir weh!«, schrie Emily, statt ihm endlich eine halbwegs plausible Antwort auf seine bohrenden Fragen zu geben.
      Matthew aber packte nur noch fester zu und schüttelte seine Mutter. Erst vorsichtig, dann immer gröber. »Wo ist Maggy? Verdammt, antworte mir!«
      »Hilfe, du sollst mich loslassen!«
      »Erst wenn du mir gesagt hast, wo ...« Weiter kam er nicht, weil er einen stechenden Schmerz im Nacken und auf dem Rücken verspürte.
      »Lässt du wohl deine Mutter los, du schwarzer Teufel!«, fluchte Walter, während er seinen Ziehsohn mit den Fäusten bearbeitete.
      Matthew nahm auf der Stelle seine Hände von Emilys Armen und wandte sich blitzschnell um. Es riecht ekelhaft nach Alkohol, dachte er noch, als ihn Walters Faust mitten ins Gesicht traf. Sofort schoss ihm Blut aus der Nase.
      »O Gott, o Gott!«, jammerte Emily und reichte ihm das Küchenhandtuch. Matthew nahm es, presste es sich unter die Nase und blickte nun fassungslos zwischen seinen Zieheltern hin und her.
      »Wie konntest du es wagen, auf deine Mutter loszugehen?«, donnerte Walter. Seine Stimme klang verwaschen.
      Matthew aber blieb ihm eine Antwort schuldig. Stattdessen fragte er beharrlich: »Wo ist Maggy?«
      »In ihrem Zimmer. Wo soll sie denn sonst sein?«, erwiderte Walter schroff, um dann ohne Vorwarnung Matthew am Ohr zu ziehen. »Was hast du dazu zu sagen? Habe ich dich nicht das vierte Gebot gelehrt? Du sollst Vater und Mutter ehren.«
      »Sie ist nicht meine Mutter!«, gab Matthew kalt zurück.
      Walter zog ihn noch fester am Ohr.
      »Die einzige, die du besitzt!«, zischte der Missionar.
      »Ich wollte von ihr nur wissen, wo meine Schwester ist, und habe bislang keine Antwort erhalten«, erwiderte Matthew.

Weitere Kostenlose Bücher