Der Schwur des Maori-Mädchens
hier in der Mission. Im Haus der Lehrerin Miss Morton«, gab sie zögernd zu.
»Dann bringe ich dich nach Hause. Bella ist eine gute Frau. Sie behandelt uns nicht so herablassend wie viele andere Pakeha.«
»Ich kann mich nicht über die Pakeha beklagen. Sie haben meinen Bruder und mich adoptiert, nachdem man unsere Eltern umgebracht hatte. Und das haben Maori getan!«, erwiderte Maggy trotzig.
»Bei wem bist du denn aufgewachsen?«, fragte Tiaki neugierig.
»Bei dem Missionar Walter Carrington aus Paihia.«
Tiaki legte den Kopf schief und musterte sie prüfend. »Dann bist du also die Schwester von Matui, nicht wahr?«
»Du meinst Matthew«, verbesserte sie den jungen Maori.
Tiakis Miene verfinsterte sich. »Ach ja, ich vergaß, dass er Hone Heke den Rücken gekehrt hat und wieder in den Schoß der heiligen Familie zurückgekehrt ist.«
»Was heißt wieder? Er hat nichts mit diesem Rebellen zu tun!« Vor lauter Aufregung hatte sie Englisch gesprochen.
»Ach, vergiss es! Wir haben uns eben in ihm getäuscht«, entgegnete er in fehlerfreiem Englisch.
»Wieso sprichst du ein so gutes Englisch?«, fragte sie erstaunt.
»Weil ich in der Mission in Kerikeri aufgewachsen bin und eigentlich Prediger werden wollte.«
»Und warum bist du es nicht geworden? Haben sie dich schlecht behandelt?«
»Nein, nein, sie waren gut zu mir, aber das ändert nichts an der Notwendigkeit, den Pakeha anhand des Fahnenmastes deutlich zu zeigen, wo ihre Grenzen sind.«
»Aber warum? Was bringt das außer einem möglichen Krieg? Euer Hone Heke provoziert ihn ja geradezu, und ich kann nur hoffen, dass sich die anderen Häuptlinge gegen ihn stellen und er sein Vorhaben freiwillig aufgibt.«
Tiaki stieß ein hämisches Lachen aus. »O nein, das wird nicht geschehen. Niemals werden wir uns von solchen Männern wie Waka Nene ...« Er stockte, als er eine Gruppe Maori erblickte, die sich ihnen schnellen Schrittes näherten. Ohne Vorwarnung zog er Maggy ganz nahe an sich heran. »Ich kenne den einen, der auf uns zukommt. Er gehört zu Waka Nene. Er darf mich nicht sehen«, flüsterte Tiaki ihr aufgeregt ins Ohr. »Wenn sie denken, dass wir ein Paar sind, werden sie einen Bogen um uns machen.«
»Schon geschehen«, erwiderte Maggy kühl, und doch war ihr die Nähe zu dem jungen Maori nicht unangenehm, wie sie erstaunt feststellen musste.
»Sag mal, wie heißt du eigentlich?«, gurrte Tiaki mit einschmeichelnder Stimme.
»Maggy.«
Tiaki rückte ein Stück von ihr ab und stöhnte unwirsch. »Maggy ist doch kein Name für ein schönes Maori-Mädchen wie dich. So heißen bleiche, rothaarige Engländerinnen. Zu dir würde Putiputi passen.«
Maggy brach wider Willen in ein lautes Lachen aus. »Blume? Also gut, wenn du es genau wissen willst. Meine Eltern nannten mich Makere.«
»Siehst du? Das ist der Name, den deine Ahnen für dich vorgesehen haben. Du gehörst nicht zu den Pakeha.«
Maggy wurde schlagartig wieder ernst. »Ach nein? Du meinst, ich gehöre zu den Maori. Müsste stolz sein, dass ich sogar eine Prinzessin bin, aber das bin ich nicht und werde es niemals sein. Ich habe zitternd in unserem Vorratshaus gekauert, während meine gesamte Familie, alle meine Freunde, mein ganzer Stamm abgeschlachtet wurden ...« Maggy unterbrach sich, weil ihr die Tränen kamen, wie immer, wenn sie an diesen Tag dachte, der ihr bis dahin friedliches Leben so verändert hatte. Sie wandte Tiaki ihr tränennasses Gesicht zu. »Und es waren keine Pakeha, sondern Maori wie du und ich!«
Tiaki machte einen hilflosen Eindruck, während er um die richtigen Worte rang. »Das tut mir wirklich leid, aber trotzdem bleibst du doch eine Maori. Natürlich hat es immer auch Auseinandersetzungen zwischen den Stämmen gegeben. Wir sind schließlich kein Volk von Jägern, sondern von stolzen Kriegern.«
»Das ist noch lange kein Grund, für so einen blöden Fahnenmast einen Krieg zu riskieren«, schimpfte Maggy und sprang auf. »Dann berichte deinem Häuptling mal schön, was in Te Waimate so geredet wird. Von denen, die den Frieden wollen!«
Ohne sich noch einmal umzudrehen, rannte Maggy zum Haus zurück. Dabei war es nicht einmal die Tatsache, dass Tiaki zu Hone Hekes Leuten gehörte, die sie wütend machte, sondern dass sie manchmal selbst nicht mehr wusste, wohin sie gehörte. Diese Zweifel waren neu. Früher hatte sie nie solche Gedanken gehegt. Im Gegenteil, denn das weiße Haus in
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