Der Schwur des Maori-Mädchens
gern hätte sie mit jemandem darüber gesprochen, aber sie durfte es ja nicht verraten. Schließlich hatte sie auf die Bibel geschworen. Maggy überlief es wie immer, wenn sie an ihren Schwur dachte - und vor allem, wie sie ihn in ihrer Verzweiflung ein einziges Mal gebrochen hatte -, abwechselnd heiß und kalt. Aber da Ripeka nun Bescheid wusste, konnte sie die alte Maori auch getrost um Rat fragen.
Maggy machte sich also auf, sie zu suchen, doch das Haus war leer. Alle hatten sich im großen Saal versammelt, um den Reden des Gouverneurs und des Bischofs zu lauschen. Wahrscheinlich ist auch Ripeka dort, dachte Maggy und wollte eigentlich gleich dorthin eilen, aber bereits auf der Veranda wurde ihr flau im Magen, sodass sie sich lieber in den Schaukelstuhl flüchtete. Doch es war nicht nur ein körperliches Unwohlsein, das sie quälte. In ihrem Innern breitete sich eine unheimliche Ahnung aus. Wie ein schleichendes Gift. Die Ahnung, dass etwas Schreckliches geschehen würde, ließ sie erzittern. Maggy kannte das. So war es auch damals gewesen, an jenem Tag, an dem man ihr Dorf überfallen hatte. An diesem Morgen war sie genau mit dem gleichen Gefühl aufgewacht. Dabei war es ein ebenso schöner Tag gewesen wie dieser. Die Sonne hatte den Kampf gegen den Regen gewonnen und der blaue Himmel die letzten grauen Wolken vertrieben. Ja, so war es auch damals gewesen. Maggy umfasste ängstlich ihren Leib, als könne sie ihr Kind damit vor jedwedem drohenden Unheil schützen.
Paihia, Januar 1845
Emily Carrington war gerade dabei, in der Kirche die Gesangbücher vom letzten Gottesdienst ihres Mannes einzusammeln, als sich hinter ihr jemand laut räusperte. Sie fuhr herum und stellte erleichtert fest, dass es Ripeka war.
»Hast du mich erschreckt! Aber schön, dass du dich auf meinen Brief hin gleich auf den Weg hierhergemacht hast. Konntest du dich davonschleichen, ohne dass Maggy etwas gemerkt hat?«
»Ich habe Miss Morton gesagt, dass ich eine kranke Cousine besuche«, seufzte Ripeka. »Aber in Waimate herrscht in diesen Tagen ohnehin ein großes Durcheinander wegen der Gespräche zwischen dem Gouverneur und den Häuptlingen. Überall laufen fremde Menschen herum, und auf den Hügeln bei der Mission ist alles voller Zelte. Deshalb kann ich auch nicht allzu lange bleiben. Miss Morton braucht mich dringend. Sie bekommt morgen Besuch von einigen der Maori-Häuptlinge. Und da muss ich kochen. Deshalb wäre es schön, wenn Sie mir schnell sagen, warum ich unbedingt den weiten Weg hierhermachen sollte. Und warum Sie Maggy nicht ein einziges Mal besucht haben ...« Ripeka unterbrach sich hastig. Den letzten Satz hatte sie eigentlich nicht sagen wollen, obgleich sie so dachte.
»Gut, dann machen wir es kurz. Es geht um Maggy.«
»Das habe ich mir fast gedacht«, knurrte Ripeka, was ihr einen strafenden Blick Emilys einbrachte.
»Wie geht es ihr?«
»Wie es einem halben Kind geht, das seine Eltern in die Mission abgeschoben haben, damit keiner etwas von seiner Schwangerschaft mitbekommt.« Wieder war ihr Ton schärfer als beabsichtigt.
»Ripeka, wie redest du denn mit mir?«, schnaubte Emily.
»Dann halte ich lieber meinen Mund, und Sie sagen mir, was Sie von mir wollen«, konterte die Maori und fügte erbost hinzu: »Warum haben Sie das Mädchen nicht wenigstens ein einziges Mal besucht? Sie haben Ihren Besuch mehrfach angekündigt. Was meinen Sie, wie enttäuscht sie jedes Mal war, wenn Sie dann wieder nicht gekommen sind.«
Emily stieß einen tiefen Seufzer aus.
»Ich ... ich hatte viel zu tun, ich war krank, ich ... ich ...«
Ripeka machte eine abwehrende Geste. »Schon gut, mich geht es auch gar nichts an. Ich sehe nur, wie die Kleine darunter leidet, und das bricht mir das Herz, aber nun sagen Sie schon: Was kann ich für Sie tun?«
Emily erwiderte zögernd: »Dir wird ja nicht entgangen sein, dass Maggy schwanger ist...«
»Nein, das ist kaum mehr zu übersehen«, fuhr Ripeka ihre Herrin an.
»Und ich habe inzwischen eine Familie in Auckland gefunden, die Maggy nach der Entbindung als Hausmädchen einstellen würde.«
»Und das Kind?«
»Das Kind, ja ... also, diesbezüglich habe ich bereits mit der Leiterin des Waisenheims in Auckland gesprochen. Sie nehmen das Baby.«
»Was soll das heißen? Sie nehmen das Baby?« Ripeka war so wütend, dass sie die Fäuste ballte.
»Du glaubst doch wohl nicht allen Ernstes, dass sie das Kind behalten
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