Der Schwur des Piraten
so zerrten sie ihn aus dem Korb.
Dann ein stechender Schmerz! Spinn schrie auf. Yellowbeard hatte ihm mit einem Degenschlag das rechte Bein abgehauen.
Schiff in Sicht
Schweißgebadet schrak Spinn aus seinem Albtraum auf.
Er atmete schwer, als wäre er lange gerannt. Wie hatte er nur einschlafen können? Das hätte nicht passieren dürfen! Gott sei Dank war es noch dunkle Nacht, er konnte also nicht allzu lange geschlafen haben. Spinn hörte einen munteren, halblauten Pfiff und schaute aufs Deck hinunter. Es war Keepfit.
»Spinn!«, rief der Steuermann. »Alles ruhig da oben?«
»Ruhig wie im Grab!« Spinn atmete auf. Was, wenn Keepfit ihn früher gerufen und ihn beim Schlafen erwischt hätte? So viel war sicher, ein paar ordentliche Peitschenhiebe wären ihm nicht erspart geblieben.
Er zog die Schilfmatte eng um die Schultern, beugte sich leicht aus dem Mastkorb und spähte mit weit aufgerissenen Augen in die Nacht. Immer wieder musste er seine Stellung ändern, damit ihn der Schlaf nicht übermannte. Immer wieder war er versucht, es sich auf dem Boden des Fasses gemütlich zu machen. Doch dann dachte er an die Peitschenhiebe und hielt der Versuchung stand.
Ab und an wurde das eintönige Plätschern der Wellen vom Steuermann unterbrochen. »Irgendwas in Sicht, Spinn?«
Und Spinn antwortete ebenso kurz: »Nein, nichts in Sicht.«
Er war noch keinen ganzen Tag an Bord, aber ihm schien es, als sei er schon seit Wochen auf dem Schiff. Nie hätte er geglaubt, dass das Leben auf See so anstrengend war. Die Tage schienen viel länger als an Land.
Aber er bereute nichts. Er hatte ja nichts zurückgelassen, für das es wert gewesen wäre zu bleiben. Und außerdem hatte seine Reise ein Ziel.
Sie hatten die Küste Englands erst vor ein paar Stunden verlassen, aber Spinn fühlte sich diesem Land schon unendlich fern.
Die Tage vergingen weiterhin sehr langsam, aber Spinns Laune besserte sich von Tag zu Tag. Sie hatten jetzt beinahe den Äquator erreicht und er genoss die heißen Sonnenstrahlen. Seine von Natur aus blasse Haut hatte bereits eine erste Seemannsbräune angenommen, über die sich eine dünne Schmutzschicht gelegt hatte, ganz wie es sich für einen echten Piraten gehörte.
Nachts, wenn er auf dem Mastkorb Wache hielt, war der Himmel ein einziges Sternenmeer. Die Luft war rein und bis zum Horizont sah er nichts als Meer und Himmel.
Bis eines Nachts am Horizont ein Licht auftauchte.
Spinn traute seinen Augen kaum. Das Licht flackerte und manchmal verschwand es auch ganz, tauchte dann aber gleich wieder auf. Das konnte nur eines bedeuten: Sie näherten sich einem Schiff.
Aufgeregt läutete Spinn die Glocke und rief zu Keepfit hinunter: »Ein Schiff, wir fahren auf ein Schiff zu!«
»Bist du sicher, Spinn?«
»Ich sehe ein Licht am Horizont, es ist zu tief für einen Stern und zu unruhig für Festland.«
»Endlich!«, jubelte der Steuermann. »Die schnappen wir uns!«
Spinn war sich jedoch nicht so sicher, ob das wirklich ein Grund zur Freude war.
Attacke!
Beim Läuten der Schiffsglocke war Captain Yellowbeard an Deck geeilt und hielt nun durch ein großes vergoldetes Fernrohr, das er stets in der Manteltasche bei sich trug, nach dem Schiff Ausschau.
»Gute Nachrichten, Captain?«, fragte Keepfit aufgeregt.
»Weiß nicht recht, sie halten direkt auf uns zu, fahren aber sehr langsam.«
»Wie eine alte Wasserschildkröte?«
»Ja.«
»Donnerwetter, Captain! Das gibt fette Beute!«, rief Keepfit und rieb sich die Hände.
»Auch große Geschütze und Kanonenkugeln machen ein Schiff schwer.«
Für einen Moment verschwand das Grinsen aus Keepfits Gesicht, doch kurz darauf strahlte er wieder bis über beide Ohren. »Zum Teufel mit den Kanonen, Captain! Das ist doch nicht das erste Mal, dass wir gegen einen Feind kämpfen, der besser bewaffnet ist als wir.«
»Da hast du Recht, Keepfit«, stimmte Yellowbeard zu und grinste. »Erzähl dem Jungen von unsrem letzten Coup.«
»Wir haben sie allesamt erledigt! Die waren so verflucht hartnäckig, dass wir die rote Flagge hissen mussten.«
Spinn wusste genau, was eine rote Flagge auf einem Piratenschiff zu bedeuten hatte: keine Gnade, keine Gefangenen. Kampf bis zum letzten Mann. Meist waren es die Mannschaften der Handelsschiffe, die dran glauben mussten. Denn oft waren sie auf Angriffe nicht ausreichend vorbereitet und trotzdem fest entschlossen, die Fracht mit ihrem Leben zu verteidigen.
Die Seabelt pflügte mit voller Kraft durch die Wellen ihrem
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