Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
durch das fast thierische Geschrei dieser rohen Bande verschlungen. Man stieß uns vom ersten Platze fort, hinaus, bis an die rauchende Esse, an welcher wir aufgeknüpft werden sollten. Dieselbe war oben mit eisernen Oesen versehen, durch welche Taue liefen, also eine wunderbar schöne und praktische Vorrichtung, um Jemanden aufzuhängen. Man brauchte die Taue nur schlaff zu lassen und uns mit der empfindlichen Gegend des Halses an dieselben zu befestigen, um uns dann gemächlich emporzuhissen. Hier also wurde ein Kreis um und ein Gerichtshof über uns gebildet. Das Letztere war eine reine Lächerlichkeit. Ich glaube, die Schufte sind gar nicht dazu gekommen, sich zu fragen, warum wir gar nicht Miene machten, uns zur Wehr zu setzen, sie sahen doch, daß wir im Besitz von Messern und Revolvern waren, uns derselben aber nicht bedienten. Das mußte doch einen Grund haben.
Old Death mußte sich gewaltige Mühe geben, ruhig zu erscheinen. Seine Hand zuckte öfters nach dem Gürtel; aber sobald dann sein Blick nach dem Kapitän flog, winkte dieser verstohlen ab.
»Na,« meinte er zu mir, und zwar deutsch, um nicht verstanden zu werden, »ich will mich noch fügen. Aber wenn sie mir es zu toll treiben, so haben sie in einer einzigen Minute unsere vierundzwanzig Kugeln im Leibe. Schießt nur gleich, wenn ich anfange!«
»Hört Ihr es!« rief der ofterwähnte Rowdy. »Sie reden deutsch. Es ist also erwiesen, daß sie verdammte Dutchmen sind und zu den Schuften gehören, welche den Südstaaten am meisten zusetzten. Was wollen sie hier in Texas? Sie sind Spione und Verräther. Machen wir es kurz mit ihnen!«
Seinem Vorschlage wurde brüllend beigestimmt. Der Kapitän rief ihnen eine strenge Mahnung zu, wurde aber wieder ausgelacht. Dann warf man die Frage auf, ob man nun den Indianer prozessiren oder uns vorher hängen solle, und man entschied sich für das Erstere. Der Vorsitzende schickte zwei Männer ab, den Rothen herbei zu holen.
Da wir rundum von Menschen umgeben waren, konnten wir Winnetou nicht sehen. Wir hörten einen lauten Schrei. Winnetou hatte den einen der Abgesandten niedergeschlagen und den andern über Bord geschleudert. Dann war er in die aus Eisenblech gefertigte Cabine des Conductors geschlüpft, welche sich am Radkasten befand. Diese hatte ein kleines Fensterchen, durch welches jetzt die Mündung seiner Doppelbüchse schaute. Natürlich erregte der Vorfall einen fürchterlichen Lärm. Alles rannte an die Schiffsbrüstung, und man schrie dem Kapitän zu, einen Mann in’s Boot zu senden, um den in das Wasser Expedirten aufzufischen. Er kam diesem Rufe nach und gab einem der Deckhands einen Wink. Der Mann sprang in das am Hintertheile befestigte Boot, löste das Tau, an welchem es gehalten wurde und ruderte nach dem Betreffenden, welcher glücklicher Weise ein wenig schwimmen konnte und sich alle Mühe gab, über Wasser zu bleiben.
Ich stand mit Old Death allein. Vom Hängen war einstweilen keine Rede mehr. Wir sahen die Augen des Steuermannes und der übrigen Schiffsleute auf den Kapitän gerichtet, welcher uns näher winkte und mit unterdrückter Stimme sagte:
»Paßt auf, Mesch’ schurs! Jetzt geb’ ich ihnen das Bad. Bleibt nur ruhig an Bord, es mag geschehen, was da wolle. Macht aber so viel Lärm wie möglich!«
Er hatte stoppen lassen, und das Schiff wurde langsam abwärts getrieben, dem rechten Ufer zu. Dort gab es eine Stelle, über welche sich das Wasser brach, eine seichte Bank. Der Fluß war von da bis zum Ufer überhaupt nicht tief. Ein Wink vom Kapitän – der Steuermann nickte lächelnd und ließ das Boot gerade gegen die Bank treiben. Ein kurzes Knirschen unter uns, ein Stoß, daß Alle taumelten, Viele aber niederstürzten – wir saßen fest. Das lenkte die allgemeine Aufmerksamkeit vom Kahne auf das Schiff. Die ruhigen Passagiere waren alle vom Conductor unterrichtet worden, schrieen aber laut Verabredung, als ob sie höchste Todesangst auszustehen hätten. Die Andern, welche an einen wirklichen Unfall glaubten, stimmten natürlich mit ein. Da tauchte einer der Deckhands hinten auf, kam scheinbar voller Entsetzen zum Kapitän gerannt und schrie:
»Wasser im Raume, Capt’n! Das Riff hat den Kiel mitten entzwei geschnitten. In zwei Minuten sinkt das Schiff.«
»Dann sind wir verloren!« rief der Kapitän. »Rette sich, wer kann! Das Wasser ist seicht bis zum Ufer. Schnell hinein!«
Er eilte von seinem Platze herab, warf den Rock, die Weste und die Mütze von sich, zog in
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