Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
Tage will Jeder ein Gentleman sein, selbst wenn er seinen Sattel auf dem Rücken trägt.«
Das galt natürlich uns Beiden, die wir mit unsern Sätteln vor ihm standen, doch war die Stichelei nicht bös gemeint. Darum fragte Old Death in ungeminderter Freundlichkeit weiter:
»Gibt es hier in diesem gesegneten Orte, wo außer Eurer Laterne kein Licht zu brennen scheint, ein Gasthaus, in welchem man schlafen kann, ohne von Menschen und andern Insekten belästigt zu werden?«
»Es ist nur ein einziges da. Und da Ihr so lange hier bei mir stehen geblieben seid, so werden die andern Passagiere Euch zuvorgekommen sein und die wenigen vorhandenen Räume in Beschlag genommen haben.«
»Das ist freilich nicht sehr angenehm,« antwortete Old Death, der auch diese Stichelei überhörte. »In Privathäusern darf man wohl keine Gastfreundschaft erwarten?«
»Hm, Sir, ich kenne Euch nicht. Bei mir selbst könnte ich Euch nicht aufnehmen, da meine Wohnung sehr klein ist. Aber ich habe einen Bekannten, der Euch wohl nicht fortweisen würde, falls Ihr ehrliche Leute seid. Er ist ein Deutscher, aus Missouri hergezogen.«
»Nun,« entgegnete mein Freund, »mein Begleiter hier ist ein Deutscher, und auch mir ist die deutsche Sprache geläufig. Spitzbuben sind wir nicht; bezahlen wollen und können wir auch, und so calculire ich, daß Euer Bekannter es einmal mit uns versuchen könnte. Wollt Ihr uns nicht seine Wohnung beschreiben?«
»Das ist nicht nöthig. Ich würde Euch hinführen; aber ich habe noch auf dem Schiffe zu thun. Master Lange, so heißt der Mann, ist jetzt nicht zu Hause. Um diese Zeit sitzt er gewöhnlich im Wirthshause. Das ist so deutsche Sitte hier. Ihr braucht also nur nach ihm zu fragen, Master Lange aus Missouri. Sagt ihm, daß der Commissioner Euch geschickt habe! Geht grad aus und dann links um das zweite Haus; da werdet Ihr das Schänkhaus an den brennenden Lichtern erkennen. Die Läden sind wohl noch offen.«
Ich gab dem Manne ein Trinkgeld für die ertheilte Auskunft, und dann wanderten wir mit unsern Pferdegeschirren weiter. Das Vorhandensein des Wirthshauses war nicht nur an den Lichtern, sondern noch weit mehr an dem Lärm zu erkennen, welcher aus den geöffneten Fenstern drang. Ueber der Thüre war eine Thierfigur angebracht, welche einer Riesenschildkröte glich, aber Flügel und nur zwei Beine hatte. Darunter stand zu lesen: »
Hawks inn
«. Die Schildkröte sollte also einen Raubvogel vorstellen, und das Haus war der »Gasthof zum Geier«.
Als wir die Stubenthüre öffneten, kam uns eine dicke Wolke übelriechenden Tabaksqualmes entgegen. Die Gäste mußten mit vortrefflichen Lungen ausgerüstet sein, da sie in dieser Atmosphäre nicht nur nicht erstickten, sondern sich augenscheinlich ganz wohl zu befinden schienen. Uebrigens erwies sich der ausgezeichnete Zustand ihrer Lungen bereits aus der ungemein kräftigen Thätigkeit ihrer Sprachwerkzeuge, denn keiner sprach, aber Jeder schrie, sodaß es schien, als ob Niemand auch nur eine Sekunde schweige, um zu hören, was ein Anderer ihm vorbrüllte. Angesichts dieser angenehmen Gesellschaft blieben wir einige Minuten an der Thüre stehen, um unsere Augen an den Qualm zu gewöhnen und die einzelnen Personen und Gegenstände unterscheiden zu können. Dann bemerkten wir, daß es zwei Stuben gab, eine größere für gewöhnliche und eine kleinere für feinere Gäste, für Amerika eine sonderbare und sogar gefährliche Einrichtung, da kein Bewohner der freien Staaten einen gesellschaftlichen oder gar moralischen Unterschied zwischen sich und Andern anerkennen wird.
Da vorn kein einziger Platz mehr zu finden war, so gingen wir nach der hinteren Stube, die wir ganz unbeachtet erreichten. Dort standen noch zwei Stühle leer, die wir für uns in Anspruch nahmen, nachdem wir die Sättel in eine Ecke gelegt hatten. An dem Tische saßen mehrere Männer, welche Bier tranken und sich in deutscher Sprache unterhielten. Sie hatten uns nur einen kurzen, forschenden Blick zugeworfen, und es schien mir, daß sie bei unserm Nahen schnell auf ein anderes Thema übergegangen seien, wie ihre unsichere, suchende Sprachweise vermuthen ließ. Zwei von ihnen waren einander ähnlich. Man mußte sie auf den ersten Blick für Vater und Sohn halten, hohe, kräftige Gestalten mit scharf markirten Zügen und schweren Fäusten, ein Beweis fleißigen und anstrengenden Schaffens. Ihre Gesichter machten den Eindruck der Biederkeit, waren aber jetzt von lebhafter Aufregung geröthet,
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