Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
malerisch zu nennen. Ich hielt die Beine weit vom Pferde ab und fühlte eine Art krampfhafter Ergebung, in welcher mir schließlich Alles gleichgültig war. Es war mir jetzt klar bewußt, wie recht gestern Old Death gehabt hatte, als er behauptete, daß im Westen von Poesie keine Rede sei. Nun bog der Alte ein wenig von der westlichen Richtung nach Süden ab.
»Ein wahres Wunder ist es,« erklärte es, »daß wir noch nicht auf die Fährte eines Comanchen gekommen sind. Sie haben sich jedenfalls mehr nach dem Flusse hingezogen. Welch eine Dummheit von ihnen, so lange Zeit nach dem entkommenen Apachen zu suchen. Wären sie stracks über den Rio grande hinüber, so hätten sie die Apachen überrascht.«
»Sie werden sich sagen, daß sie das auch jetzt noch thun können,« meinte Lange, »denn wenn Winnetou mit dem Verwundeten nicht glücklich hinübergekommen ist, so haben die Apachen keine Ahnung, daß die verrätherischen Comanchen ihnen so nahe sind.«
»Hm! Das ist nicht so ganz unrichtig, Sir. Grad der Umstand, daß wir die letzteren nicht sehen, macht mich für Winnetou besorgt. Sie schwärmen nicht mehr, sondern sie scheinen sich zusammengezogen zu haben. Das ist ein für die beiden Apachen sehr ungünstiges Zeichen. Vielleicht sind sie ergriffen worden.«
»Was wäre in diesem Falle das Schicksal Winnetou’s?«
»Das entsetzlichste, was sich nur denken läßt. Er würde nicht etwa getödtet oder während des Kriegszuges gemartert. Nein. Den berühmtesten Häuptling der Apachen gefangen zu haben, wäre für die Comanchen ein noch nie dagewesenes Ereigniß, welches in würdiger, das heißt fürchterlicher Weise gefeiert werden müßte. Er würde unter sicherer Bedeckung heimgeschafft, nach den Weideplätzen der Comanchen, wo nur die Frauen, Knaben und Alten zurückgeblieben sind. Dort würde er außerordentlich gut gepflegt, so daß ihm nichts als die Freiheit fehlte. Die Frauen würden ihm jeden erfüllbaren Wunsch an den Augen ablesen. Wenn Ihr aber meint, daß es höchst freundlich von ihnen sei, den Gefangenen so gut zu pflegen, so irrt Ihr Euch ungeheuer. Man will den Gefangenen nur kräftigen, damit er später die Qualen so lange wie möglich zu ertragen vermag und nicht gleich bei der ersten Marter stirbt. Ich sage Euch, Winnetou müßte sterben, aber nicht schnell, nicht in einer Stunde, an einem Tage. Man würde seinen Körper mit wahrhaft wissenschaftlicher Vorsicht nach und nach zerfleischen, so daß viele Tage vergehen könnten, ehe der Tod ihn erlöste. Das ist ein eines Häuptlings würdiger Tod, und ich bin überzeugt, daß er bei all den ausgesuchten Qualen nicht eine Miene verziehen, sondern vielmehr seine Henker verspotten und verlachen würde. Es ist mir wirklich bange um ihn, und ich sage Euch aufrichtig, daß ich gegebenen Falls mein Leben wagen würde, ihn aus diesen Händen zu erretten. Jedenfalls haben wir die Comanchen da westlich vor uns. Wir reiten etwas südlich ab, um zu meinem alten Freunde zu kommen, von welchem wir vielleicht erfahren werden, wie es am Rio grande steht. Wir bleiben die Nacht bei ihm.«
»Werden wir willkommen sein?«
»Ganz selbstverständlich! Sonst würde ich ihn gar nicht als Freund bezeichnen. Er ist Ranchero, ein Landwirth, ein ächter Mexicaner von unverfälschter spanischer Abkunft. Einer seiner Ahnen ist einmal von irgend wen zum Ritter geschlagen worden, und also bezeichnete auch er sich als einen Caballero, einen Ritter. Darum hat er auch seinem Rancho den wohlklingenden Namen Estanzia del Caballero gegeben. Ihn selbst habt Ihr Sennor Atanasio zu nennen.«
Nach diesen Erklärungen ging es wieder schweigend weiter. Unsere Pferde wieder in Galopp zu bringen, gelang uns nicht, sie sanken fast bis an die Kniee in den Sand. Nach und nach aber nahm die Mattigkeit derselben ab, und ungefähr vier Uhr Nachmittags begrüßten wir das erste Gräschen. Dann kamen wir über eine Prairie, auf welcher berittene Vaquero’s ihre Pferde, Rinder und Schafe bewachten. Unsere Thiere bekamen neues Leben; sie fielen von selbst in schnelleren Gang. Bäume erhoben sich vor uns, und endlich sahen wir etwas Weißes aus dem Grün uns entgegenschimmern.
»Das ist die Estanzia del Caballero,« sagte Old Death. »Ein ganz eigenartiges Bauwerk, genau nach dem Stile der Moqui-und Zunni-Bauten errichtet, die reine Festung, was in dieser Gegend sehr nothwendig ist. Wir kamen näher an das Gebäude und konnten die Einzelheiten desselben erkennen. Eine doppelt mannshohe Mauer zog
Weitere Kostenlose Bücher