Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
aber möchte ich es keinem rathen, dieses Experiment zu versuchen, denn man kann von dieser Plattform und der Gallerie aus, wie Ihr seht, die Mauer, das vor ihr liegende Terrain und auch den Hof mit den Kugeln bestreichen. Sennor Atanasio wird an die zwanzig Vaqueros, Peons und Diener haben, von welchen jeder ein Gewehr besitzt. Wenn zwanzig solcher Leute hier oben ständen, müßten Hunderte von Indianern sterben, bevor der erste von ihnen über die Mauer käme. Diese Bauart ist hier an der Grenze von großem Vortheile, und der Haziendero hat nicht nur eine Belagerung ausgehalten und glücklich abgewehrt.«
Man konnte von der Höhe des Hauses weit nach allen Seiten sehen. Ich bemerkte, daß hinter dem Hause, gar nicht weit von demselben entfernt, der Elm-Creec, welcher auch Saus-Creec genannt wird, vorüber floß. Er hatte ein schönes, klares Wasser, und es war kein Wunder, daß er Fruchtbarkeit nach beiden Seiten verbreitete.
Wir stiegen, von einem Diener geführt, die Treppe hinab und gelangten da auf einen langen, schmalen Korridor, welcher vorn und hinten durch je zwei Schießscharten erleuchtet wurde. Zu beiden Seiten mündeten Thüren, und am hinteren Ende ging eine Treppe in das Erdgeschoß hinab. Um vom Hofe aus in dieses zu gelangen, mußte man also außen am Gebäude zwei Treppen hinauf-und im Innern desselben wieder zwei Treppen hinabsteigen. Es erschien mir das sehr umständlich, war aber in den Verhältnissen der Gegend wohlbegründet. Der Diener verschwand hinter einer Thüre und kehrte erst nach einiger Zeit zurück, um zu melden, daß Sennor der
Capitano de Caballeria
uns erwarte. Während dieser Wartezeit hatte Old Death uns aufmerksam gemacht:
»Nehmt es meinem alten Sennor Atanasio nicht übel, wenn er Euch ein wenig förmlich empfängt. Der Spanier liebt die Etikette, und der von ihm abstammende Mexicaner hat das behalten. Wäre ich allein gekommen, so wäre er mir längst entgegen geeilt. Da aber andere dabei sind, so gibt es jedenfalls einen Staatsempfang. Lächelt ja nicht, wenn er etwa in Uniform erscheint! Er bekleidete in seinen jungen Jahren den Rang eines mexicanischen Rittmeisters und zeigt sich noch heutigen Tages gern in seiner alten, längst antik gewordenen Uniform. Im Uebrigen ist er ein Prachtkerl.«
Jetzt kam der Diener, und wir traten in ein wohlthuend kühles Gemach, dessen einst wohl kostbares Meublement jetzt vollständig verblichen war. Drei halbverschleierte Schießscharten verbreiteten ein gedämpftes Licht. Inmitten des Zimmers stand ein langer, hagerer Herr mit schneeweißem Haar und Schnurrbart. Er trug rothe, mit breiten Goldborden besetzte Hosen, hohe Reiterstiefel aus blitzendem Glanzleder mit Sporen, deren Räder die Größe eines silbernen Fünfmarkstückes hatten. Der Uniformfrack war blau und reich mit goldenen Bruststreifen verziert. Die goldenen Epauletten deuteten auf den Rang nicht eines Rittmeisters, sondern eines Generals. An der Seite hing ihm ein Säbel in stählerner Scheide, deren Schnallenhalter auch vergoldet waren. In der Linken hielt er einen Dreispitzhut, dessen Spitzen von goldenen Raupen strotzten; an der Seite war eine schillernde Agraffe befestigt, welche einen bunten Federstutz trug. Das sah aus wie Maskerade. Aber wenn man in das alte, ernste Gesicht und das noch frische, gütig blickende Auge sah, konnte man es nicht über das Herz bringen, heimlich zu lächeln. Als wir eingetreten waren, schlug er die Absätze sporenklirrend zusammen, richtete sich stramm empor und sagte:
»Guten Tag, meine Herren! Ihr seid sehr willkommen!«
Das klang sehr steif. Wir andern verbeugten uns stumm. Old Death antwortete ihm in englischer Sprache:
»Wir danken, Sennor
Capitano de Caballeria!
Da wir uns in dieser Gegend befanden, so wollte ich meinen Begleitern gern die ehrenvolle Gelegenheit geben, Euch, den tapfern Streiter für Mexico’s Unabhängigkeit, kennen zu lernen. Gestattet, sie Euch vorzustellen!«
Bei diesen schmeichelhaften Worten ging ein befriedigtes Lächeln über das Gesicht des Haziendero. Er nickte zustimmend und sagte:
»Thut es, Sennor Death! Es ist mir eine große Freude, die Sennores kennen zu lernen, welche Ihr zu mir bringt.«
Old Death nannte unsere Namen, und der Caballero reichte Jedem von uns, sogar dem Neger die Hand und lud uns dann zum Sitzen ein. Der Scout fragte nach Sennora und Sennorita, worauf sofort der Haziendero eine Thüre öffnete und die beiden schon bereit stehenden Damen eintreten ließ. Die Sennora war
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