Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
sich um dasselbe. Sie war mit einem hohen, breiten Thore versehen, vor welchem eine Brücke über einen tiefen, jetzt aber wasserleeren Graben führte. Das Gebäude hatte eine kubische Gestalt. Das Erdgeschoß konnten wir nicht sehen, da es von der Mauer vollständig verdeckt wurde. Das Stockwerk trat von demselben zurück, so daß rundum Raum zu einer Gallerie verblieb, welche mit weißem Zeltleinen überdeckt war. Von einem Fenster bemerkten wir nichts. Auf diesem würfelförmigen Stockwerke lag ein zweites von derselben Form. Die Grundfläche desselben war wieder kleiner als die des vorhergehenden, so daß abermals eine Gallerie entstand, welche durch Leinwand beschützt wurde. So bestanden Erdgeschoß, erstes und zweites Stockwerk aus drei Mauerwürfeln, von denen der höhere immer kleiner war als der tiefer liegende. Die Mauern waren weiß angestrichen; die Leinwand hatte dieselbe Farbe, weßhalb das Gebäude weithinaus in die Ferne leuchtete. Erst als wir näher kamen, bemerkten wir an jedem Stockwerke rundum laufende Reihen schmaler, schießschartenähnlicher Maueröffnungen, welche als Fenster dienen mochten.«
»Schöner Palast!« lächelte Old Death. »Werdet Euch über die Einrichtung wundern. Möchte den Indianerhäuptling sehen, der sich einbildet, dieses Haus erstürmen zu wollen!«
Nun ritten wir über die Brücke an das Thor, in welchem eine kleine Oeffnung angebracht war. An der Seite hing eine Glocke, so groß wie ein Menschenkopf. Old Death läutete sie. Man konnte den Ton wohl über eine halbe Stunde weit hören. Bald darauf erschienen eine Indianernase und zwei wulstige Lippen an dem Loche. Zwischen den letzteren heraus ertönte es in spanischer Sprache:
»Wer ist da?«
»Freunde des Hausherrn,« antwortete der Scout. »Ist Sennor Atanasio zu Hause?«
Die Nase und der Mund senkten sich tiefer, zwei dunkle Augen schauten heraus, und dann hörten wir die Worte:
»Welche Freude! Sennor Death! Euch lasse ich natürlich sofort herein. Kommt, Sennores! Ich werde Euch melden.«
Wir hörten einen Riegel gehen; dann öffnete sich das Thor und wir ritten ein. Der Mann, welcher uns geöffnet hatte, war ein dicker, ganz in weißes Leinen gekleideter Indianer, einer von den Indios fideles, das heißt gläubigen Indianern, welche sich im Gegensatze zu den wilden Indios bravos mit der Civilisation friedlich abgefunden haben. Er schloß das Thor, machte eine tiefe Verneigung, schritt dann gravitätisch über den Hof hinüber und zog dort an einem an der Mauer herabhängenden Draht.
»Wir haben Zeit, das Haus zu umreiten,« sagte Old Death. »Kommt mit, Euch das Bauwerk zu betrachten.«
Erst jetzt konnten wir das Erdgeschoß sehen. Auch an demselben zog sich eine Reihe kleiner Schußscharten rund um die vier Seiten. Das Gebäude stand in einem mauereingeschlossenen Hofe, der ziemlich breit und nicht gepflastert, sondern mit Gras bewachsen war. Außer den Schießscharten war kein Fenster zu sehen, und zu meinem Erstaunen gab es auch keine Thüre. Wir umritten das ganze Haus und kamen wieder an der vorderen Seite desselben an, ohne eine Thüre gefunden zu haben. Der Indianer stand noch wartend da.
»Aber wie kommt man denn in das Innere des Gebäudes?« fragte ich.
»Werdet es gleich sehen!« antwortete Old Death.
Da beugte sich von der auf dem Erdgeschosse befindlichen Gallerie ein Mann herab, um nachzusehen, wer unten sei. Als er den Indianer sah, verschwand sein Kopf wieder, und dann wurde eine schmale, leiterähnliche Treppe herabgelassen, an welcher wir emporsteigen mußten. Wer nun der Ansicht gewesen wäre, daß es hier im ersten Stocke wenigstens eine Thüre gebe, der hätte sich geirrt. Oben auf dem zweiten Geschosse stand wieder ein Diener, auch in weiß gekleidet, welcher von da oben eine zweite Leiter herabließ, auf welcher wir auf der Höhe des Hauses ankamen. Diese Plattform bestand aus mit Sand bedecktem Zinkblech. In der Mitte befand sich ein viereckiges Loch, welches die Mündung einer in das Innere führenden Treppe bildete.
»So wurde bereits vor Jahrhunderten in den jetzigen indianischen Puablos gebaut,« erklärte Old Death. »Niemand kann in den Hof. Und wenn es einem Feinde gelingen sollte, über die Mauer zu kommen, so ist die Treppe emporgezogen, und er steht vor der thürlosen Mauer. In friedlichen Zeiten freilich kann man auch ohne Thor und Treppen herein-und herauskommen, indem man sich auf das Pferd stellt und über die Mauer und auf die Gallerie klettert. In Kriegszeiten
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