Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
jedenfalls um nach dem Messer zu greifen, es mir in das Herz zu stoßen und mir dann den Scalp zu nehmen. Mit der Linken hielt er mich noch fest, aber ich konnte doch einen Athemzug thun. Diesen Augenblick mußte ich benutzen. Ich bäumte mich empor und warf ihn ab. Er flog zur Seite auf den Boden und ich schnelle mich auf ihn, um nun meinerseits ihn beim Halse zu nehmen. Da erhielt ich einen Stoß gegen das Kinn, so daß mir der Kopf in den Nacken flog – ein Knirschen und Prasseln in meiner linken Kinnlade – ich achtete nicht darauf. Er hatte mir das Messer von unten herauf in dieselbe gestoßen; die Klinge war, wie sich später herausstellte, in die Mundhöhle gedrungen, ohne glücklicher Weise die Zunge zu verletzen. Ich hatte ihn bei der Kehle und drückte ihm dieselbe so zusammen, daß seine Hand sich vom Griffe des Messers löste. Es blieb mir in der Wunde stecken. Er faßte meine Hände, um sie los zu bringen, er versuchte, mich abzuwerfen, vergebens. Für mich handelte es sich um Tod oder Leben, und ich nahm alle Kraft zusammen, mich zu retten.
Keiner von uns beiden hatte bis jetzt ein Wort oder auch nur einen Laut hören lassen, jeder war nur darauf bedacht, den Feind nicht aufkommen zu lassen. Er machte es mir ungeheuer schwer und entwickelte eine Gewandtheit, welche fast noch größer war, als seine Körperkraft. Mit aalglatten Bewegungen suchte er mir zu entschlüpfen. Aber es gelang ihm nicht. Endlich wurden seine Bewegungen langsamer und schwächer, und seine Hände lösten sich von den meinigen. Er lag still.
Das konnte eine List sein wie vorhin von meiner Seite. Ich nahm also meine Hände nur vorsichtig von seinem Halse. Er war indessen wirklich bewußtlos. Jetzt hätte ich ihn tödten oder binden und den Comanchen übergeben können; aber ich war gewillt, weder das eine noch das andere zu thun – er sollte entkommen. Zunächst zog ich mir das Messer aus der Wunde, welche sogleich stark zu bluten begann. Dann betastete ich ihn, da es zu dunkel war, ihn betrachten zu können. Welche Ueberaschung; ich hatte – – Winnetou besiegt! Um ihn zu verhindern, beim Erwachen irgend eine Handlung vorzunehmen, welche ihm zum Nachtheile gereichen konnte, so band ich ihm die Hände und Füße zusammen, zog ihn zum nächsten Baume, richtete ihn in sitzende Stellung auf und befestigte ihn da mit dem Lasso an dem Stamme.
Der Kampf war noch nicht zu Ende. Die Apachen hatten bemerkt, daß Winnetou noch nicht entkommen sei. Um ihm Zeit zu geben, hatten sie sich in dem engen Ausgange festgesetzt, wohin die Comanchen ihnen nicht folgen konnten. Die letzteren schickten zwar ihre Pfeile in das dichte Gewühl, jedenfalls aber ohne Erfolg, da die Apachen wohl so klug waren, Deckung zu suchen. Ich eilte zu den Pferden, wo ich Old Death fand, dem ich meine Heldenthat berichtete.
»Winnetou?« fuhr er erstaunt auf. »Das muß ein Irrthum sein, denn Ihr hättet ein teufelmäßiges Glück gehabt. Und verwundet seid Ihr? So kommt schnell zum Feuer!«
Das verlassene Feuer brannte nur noch ganz spärlich, doch reichte es für den Alten aus, meine Wunde zu untersuchen.
»Etwas weiter nach innen, und er hätte Euch die Zunge zerstochen,« sagte er. »So aber ist die Geschichte gar nicht gefährlich. Der Stich wird Euch für einige Zeit am Sprechen und Kauen hindern; das ist aber auch Alles. Führt mich jetzt zu dem Apachen.«
Als wir bei demselben ankamen, saß er noch so am Baume, wie ich ihn verlassen hatte; aber das Bewußtsein war ihm zurückgekehrt, denn er empfing uns mit den Worten:
»Die weißen Verräther mögen mich losbinden. Ich werde ihnen nicht entfliehen. Sie mögen mich den Hunden der Comanchen übergeben, damit dieselben mich zerfleischen. Mein Todesgesang wird ein Triumph über sie sein.«
»Ja, ich werde Winnetou losbinden,« sagte ich.
Ich wollte noch etwas hinzufügen, aber er fiel schnell ein:
»Das Bleichgesicht kennt Winnetou trotz der Dunkelheit? Warum hat er mich nicht getödtet?«
»Wie sollte ich den berühmten Häuptling der Apachen, deren Freund ich bin, tödten!«
»Unser Freund willst Du sein? Und doch hast Du oder Deine weißen Genossen uns ein falsches Zeichen gegeben!«
»Wie meinst Du das?«
»Ihr habt das Feuer nur ein einziges Mal aufleuchten lassen, als ich die Stimme der Eule erschallen ließ, und doch solltet Ihr es für jedes Hundert der Comanchen einmal thun. Unsere Feinde waren weit über fünf hundert; ich aber mußte glauben, daß nur hundert Feinde vorhanden
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