Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
sprang plötzlich auf.
»Uff!« rief er erstaunt und deutete mit der Hand hinaus.
Ich drehte mich um, warf einen Blick hinaus und erkannte – den roten Olbers, welcher vom Abflusse des Sees her langsam auf das Haus zu geritten kam. Er schien sich jede Einzelheit des Terrains genau betrachten zu wollen. Ich eilte zur Thür, riß sie auf und rief nach Wittler. Er kam herbeigeeilt; er hatte meiner Stimme angehört, daß es etwas Ungewöhnliches gebe.
»Der rote Olbers kommt!« sagte ich.
»Mein Gott!« rief er, vor Schreck zurückfahrend.
»Keine Angst! Er kommt nur rekognoszieren. Wir könnten ihn fortlassen, um ihn dann mit den Seinen desto sicherer zu haben; aber wir halten ihn fest; die andern entgehen uns nicht. Schnell, schnell, empfangt ihn im Kontor, thut, als ob Ihr nichts ahntet, und laßt ihn ruhig sprechen. Ich bin neugierig, womit er seine Anwesenheit begründen wird. Ich warte mit Winnetou, bis er wieder heraustritt, und nehme ihn fest.«
»Aber, Sir, dieser Mörder – – –«
»Schnell!« unterbrach ich ihn. »Er steigt bereits vom Pferde!«
Ich mußte den Mann förmlich fortschieben, so voller Angst war er. Wir hörten Olbers in den Flur treten und nach Mr. Wittler fragen; dieser ging mit ihm in das Kontor. Nach einigen Minuten postierten wir uns leise vor die Thür desselben. Ich malte mir bereits aus, welch ein Gesicht er machen werde, wenn er heraustreten und mich da erblicken werde. Ich horchte. Ich vernahm einige laute Worte und einen darauf folgenden wilden Fluch. Es schlug etwas gegen die Thür. Ich ahnte, daß dies nichts Gutes bedeute, und öffnete. Da stand Wittler, schreckensbleich und mit offenem Munde. Olbers war nicht zu sehen.
»Wo ist er?« fragte ich dringend.
Der Mann deutete wortlos gegen das Fenster.
»Fort?«
»Ja,« antwortete er. »Ich hatte viel Mut; ich sagte ihm, daß er der Mörder meines Bruders sei und daß ich Gäste habe, die ihn fangen wollen. Da warf er mich gegen die Thür und sprang durch das Fenster.«
Ich hatte keine Zeit zu antworten und meinem Aerger Luft zu machen. Dieser feige Mann hatte doch nur vor lauter Angst Olbers einschüchtern wollen. Draußen erscholl der Hufschlag eines Pferdes. Ich sprang vor das Haus, Winnetou mit. Olbers galoppierte
ventre-à-terre
dem Ausgange des Sees zu. Selbst wenn ich den Arbeitern hätte zurufen wollen, ihn festzuhalten, wäre es vergeblich gewesen.
Winnetou überschaute die Situation mit seiner gewöhnlichen Kaltblütigkeit.
»Ich verfolge ihn,« sagte er. »Mein Bruder Schar-lih mag diesem Weibe sagen, was es zu thun hat, und mir dann nacheilen; er wird meine Fährte leicht finden.«
Sein Pferd weidete in ziemlicher Entfernung, kam aber auf seinen Pfiff sogleich herbei. Er sprang auf und jagte davon. Als vorsichtiger Mann hatte er, als wir vom Tische aufstanden, seine Büchse ergriffen und brauchte also gar nicht erst in das Haus zurückzukehren. Mit dem Worte »Weib« hatte er Wittler gemeint.
»Ihr glaubt nicht, was Ihr für einen unverzeihlichen Fehler begangen habt,« sagte ich zu diesem. »Nun werden uns diese Spitzbuben vielleicht gar entgehen.«
»Immerzu!« antwortete er. »Sie werden nun jedenfalls nicht mehr daran denken, uns zu überfallen.«
»Das weiß man nicht. Ich folge jetzt dem Apachen. Stellt Posten aus, und laßt sie die Augen offen halten. Wir beabsichtigten erst, die Bande in das Thal zu lassen und dann unschädlich zu machen, nun wir aber fort sind, werdet Ihr klug thun, jeden niederzuschießen, der den Eingang erzwingen will. Ob wir wiederkommen, weiß ich nicht, zeitig, spät, heut, morgen oder auch gar nicht.
Fare well,
Sir!«
Während dieser Rede hatte ich meine Gewehre ergriffen, mein Pferd herbeigepfiffen, stieg auf und folgte Winnetou. Die Arbeiter blickten mich verwundert an, war ich doch nun der dritte Reiter, der in rasender Eile das Thal verließ. Seit der Flucht Olbers und jetzt waren höchstens zwei Minuten vergangen. Ich erreichte die Durchbruchsspalte, flog hindurch und am Wasser hinab. Ich sah deutlich die Tapfen von Winnetous Pferd. Dieser hatte, wie ich jetzt bemerkte, zum Ueberfluß den Tomahawk ergriffen, und längs des Verfolgungsweges jeden erreichbaren Ast abgehauen. So konnte ich ihm schneller folgen als er dem Fliehenden.
Es ging über Stock und Stein, zwischen Büschen und Felsen hindurch. Mein Mustang griff aus wie selten. Nach kurzer Zeit hatte ich Winnetou erreicht. Er saß nicht auf seinem Pferde, sondern er hing an demselben, das eine Bein über dem
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