Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
gar nicht fürchte oder den Schuß überhaupt nicht gehört habe. Dann blieb er stehen und erhob seine Stimme. Was er sprach, verstand ich nicht, denn er bediente sich der Indianersprache. Er redete wohl fünf Minuten lang und zwar in lautem, eindringlichen Tone. Mitten in der Rede erhob er die Hand, und sofort sahen wir, daß alle Apachen, soweit unsere Augen reichten und also wohl weiter hin um das ganze Thal, vom Boden aufstanden, um sich den Comanchen zu zeigen. So mußten die letzteren sehen, daß sie rundum von einer überlegenen Menge von Feinden eingeschlossen seien. Das war aufrichtig von Winnetou gehandelt, der letzte Versuch von ihm, sie zur Ergebung zu bewegen. Dann sprach er weiter. Als er schwieg, erklärte mir Old Death:
»Er hat jetzt gesagt, daß er ihre Antwort hören wolle – – ah, Teufel!«
Grad als der Alte dieses Wort ausrief, fuhr Winnetou zu Boden nieder, so daß seine Gestalt verschwand, und zugleich krachte ein zweiter Schuß.
»Der Anführer der Comanchen hat abermals auf ihn geschossen. Das ist seine Antwort,« sagte Old Death. »Winnetou hat gesehen, daß er das Gewehr wieder lud, und sich in dem Augenblicke, als es auf ihn gerichtet wurde, niedergeworfen. Nun wird – – seht, seht!«
So schnell, wie Winnetou sich niedergeworfen hatte, so schnell fuhr er jetzt wieder empor. Er legte seine Silberbüchse an und drückte ab. Ein lautes Geheul der Comanchen beantwortete seinen Schuß.
»Er hat ihren Anführer niedergeschossen,« erklärte Old Death.
Jetzt erhob Winnetou abermals die Hand, indem er den Handteller flach, horizontal ausstreckte. Wir sahen alle Apachen, welche wir mit dem Blicke erreichen konnten, ihre Gewehre anlegen. Weit über vierhundert Schüsse krachten – – –
»Kommt, Mesch’ schurs!« meinte der Alte. »Das wollen wir nicht mit ansehen. Das ist zu indianisch für meine alten Augen, obgleich ich sagen muß, daß die Comanchen es verdient haben. Winnetou hat alles Mögliche gethan, es zu verhüten.«
Wir kehrten zu den Pferden zurück, wo der Alte das für ihn bestimmte besichtigte. Noch eine Salve hörten wir; dann ertönte das Siegesgeschrei der Apachen. Nach wenigen Minuten kehrte Winnetou zu uns zurück. Sein Angesicht war außerordentlich ernst, als er sagte:
»Es wird sich ein großes Klagen erheben in den Zelten der Comanchen, denn keiner ihrer Krieger kehrt zurück. Der große Geist hat es gewollt, daß unsere Todten gerächt werden sollen.«
Er setzte sich da nieder, wo während der Nacht das Feuer gebrannt hatte, und blickte eine lange Zeit stumm vor sich nieder. Uns lag sehr viel daran, baldigst aufzubrechen, aber wir durften keine Ungeduld zeigen, denn wir wußten, daß er bestens für uns sorgen werde. So verging eine Viertelstunde, eine halbe und sogar eine ganze Stunde. Nach dieser Zeit wurden die Pferde der Comanchen gebracht, und Winnetou erhob sich, um uns in das Thal zu führen. Dort war keine Spur mehr von den beiden Barrikaden vorhanden, auch keine Leiche sahen wir liegen. Sie waren mit Hilfe der Lasso’s zum Pfade hinaufgezogen worden.
Endlich wurde für unsern Aufbruch gesorgt. Man gab uns Fleisch mit; man füllte unsere Schläuche mit frischem Wasser. Dann wurden zehn Männer bestimmt, welche uns begleiten sollten.
»Zehn?« fragte Old Death. »Einer genügt, um uns den Weg zu zeigen.«
»Nicht als Wegweiser gebe ich sie Euch mit, sondern zu Eurem Schutze,« erklärte Winnetou.
»Schutz? Den brauchen wir nicht. Wir sind Manns genug, uns selbst zu schützen.«
»Mein Bruder irrt. Ich weiß, daß er ein muthiger und tapferer Mann ist, aber es schwärmen jetzt die Zakateko’s, Tschimarra und Concho’s über die Mapimi. Diese sind Niemandes Freund und Jedermanns Feind.«
»Lumpen sind sie, die ich nicht zu fürchten habe! Die Apachen und Comanchen sind tapfer. Diese halbcivilisirten Schufte aber sitzen mit der Feigheit im Sattel.«
»Mein Bruder muß bedenken, daß der feigste Mann den Tapfersten aus dem Hinterhalte zu tödten vermag. Das junge Bleichgesicht, dem ich mein Leben zu verdanken habe, soll nicht von der Hand eines solchen Menschen sterben.«
»Nun, wenn das ist, so bin ich einverstanden. Also gib uns meinetwegen zehn Krieger mit.«
»Du wirst mit ihnen zufrieden sein. Sie gehören zu den besten, welche ich besitze und ihr Anführer ist mir sogar lieb und werth. Ich habe ihm gesagt, daß er nicht lebend vor mich treten möge, wenn Euch ein Leid geschehe, und Ihr könnt Euch ihm ruhig anvertrauen.«
»Nun,
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