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Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Titel: Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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könne an irgend einem Herzeleid, welches nicht von Euch lassen will. Gute Nacht, Sir!«
    Ich wendete mich zum Gehen. Er ließ mich eine kleine Strecke fort, dann hörte ich:
    »Master, lauft nicht fort. Es ist wahr, was Ihr von dem Herzeleid denkt; es liegt mir schwer auf der Seele und will nicht heraus. Ich habe Euch kennen gelernt als einen verschwiegenen und gutherzigen Kerl, der mit mir wohl nicht allzu streng in’s Gericht gehen will. Darum sollt Ihr jetzt einmal hören, was mich drückt. Alles brauche ich Euch nicht zu sagen, nur Einiges; das Uebrige werdet Ihr Euch leicht dazu denken können.«
    Er nahm meinen Arm unter den seinigen und schritt langsam mit mir am Bache hin.
    »Was habt Ihr eigentlich für eine Ansicht von mir?« fragte er dann plötzlich. »Was denkt Ihr von meinem Charakter von – von – na, von dem moralischen Old Death?«
    »Ihr seid ein Ehrenmann; darum liebe und achte ich Euch.«
    »Hm! Habt Ihr einmal ein Verbrechen begangen?«
    »Hm!« brummte nun auch ich. »Die Eltern und Lehrer geärgert. Dem Nachbar durch den Zaun in den Obstgarten gekrochen. Andere Buben, welche nicht meiner Meinung waren, weidlich durchgewalkt, und so weiter!«
    »Schwatzt nicht dummes Zeug! Ich spreche von wirklichen Verbrechen, criminell strafbar.«
    »Auf so etwas kann ich mich freilich nicht besinnen.«
    »Dann seid Ihr ein außerordentlich glücklicher Mensch, Sir. Ich beneide Euch, es ist eine Strafe, ein böses Gewissen zu haben! Kein Galgen und kein Zuchthaus reicht da hinan!«
    Er sagte das in einem Tone, welcher mich tief erschütterte. Ja, dieser Mann schleppte das Andenken eines schweren Verbrechens mit sich herum, sonst hätte er nicht in diesem entsetzlichen Tone sprechen können. Ich sagte nichts. Es verging eine Weile, bis er fortfuhr:
    »Master, vergeßt das nicht: Es gibt eine göttliche Gerechtigkeit, gegen welche die weltliche das reine Kinderspiel ist. Das ewige Gericht sitzt im Gewissen und donnert einem bei Tage und bei Nacht den Urtheilsspruch zu. Es muß heraus; ich muß es Euch sagen. Und warum grad Euch? Weil ich trotz Eurer Jugend und trotzdem Ihr ein ausgemachtes Greenhorn seid, ein großes Vertrauen zu Euch habe. Und weil es mir in meinem Innern ganz so ist, als ob morgen etwas passiren werde, was den alten Scout verhindern wird, seine Sünden zu bekennen.«
    »Seid Ihr des Kukuks, Sir? Ihr habt doch nicht etwa gar eine Todesahnung?«
    »Ja, die habe ich,« nickte er. »Ihr habt gehört, was der Gambusino vorhin von dem Kaufmanne Harton erzählte. Was haltet Ihr von dem Bruder dieses Mannes?«
    Jetzt ahnte ich das Richtige; darum antwortete ich in mildem Tone:
    »Er war jedenfalls leichtsinnig.«
    »
Pshaw!
Damit wollt Ihr wohl ein mildes Urtheil sprechen? Ich sage Euch, der Leichtsinnige ist viel gefährlicher, als der wirklich boshaft Schlechte. Der Schlechte kennzeichnet sich bereits von weitem; der Leichtsinnige ist aber meist ein liebenswürdiger Kerl; darum ist er gemeingefährlicher als der erstere. Tausend Schlechte können gebessert werden, denn die Schlechtigkeit hat Charakter, bei welchem die Zucht anzufassen vermag. Unter tausend Leichtsinnigen aber kann kaum einer gebessert werden, denn der Leichtsinn hat keinen Halt, keine feste Handhabe, an welcher er zu fassen und auf bessere Wege zu bringen ist. Eigentlich schlecht bin ich nie gewesen, aber leichtsinnig, bodenlos leichtsinnig, denn jener Henry Harton, der seinen Bruder um Alles, Alles brachte, der war ich, ich, ich!«
    »Aber, Sir, Ihr habt mir einen andern Namen genannt!«
    »Ganz natürlich! Ich nenne mich anders, weil ich den Namen, den ich trug, entehrt habe. Kein Verbrecher spricht gern von dem, an dem er sich versündigt hat. Könnt Ihr Euch besinnen, was ich Euch noch in New-Orleans sagte, nämlich, daß meine brave Mutter mich auf den Weg zum Glück gesetzt, ich aber dasselbe auf einem ganz andern Wege gesucht habe?«
    »Ich erinnere mich.«
    »So will ich nicht viele Worte machen. Meine sterbende Mutter zeigte mir den Weg der Tugend, ich aber wandelte denjenigen des Leichtsinnes. Ich wollte reich werden, wollte Millionen besitzen. Ich spekulirte ohne Verstand und verlor mein väterliches Erbtheil und meine kaufmännische Ehre. Da ging ich in die Diggins. Ich war glücklich und fand Gold in Menge. Ich verschleuderte es ebenso schnell, wie ich es erworben hatte, denn ich wurde leidenschaftlicher Spieler. Ich plagte mich Monate lang in den Diggins ab, um das Gewonnene auf eine einzige Nummer zu setzen und in

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