Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Titel: Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
großen Krieger, zuerst nach der Mutter zu sehen!«
    Indem wir in die Grube schauten, bemerkten wir zunächst eine abgebrochene, junge Fichte, welche den Knaben als Leiter diente. Unten lag die Squaw, jetzt wieder in Krämpfen und schwer mit dem Atem ringend. Bei ihr saß ihr jüngerer Sohn; er hatte ihren Kopf in seinem Schoße und weinte. Im entgegengesetzten Winkel lagen mehrere Riemen und drei große, vollständig ausgewachsene Klapperschlangen, welche nun tot waren. Ich sprang mit Winnetou hinab. Wie wir bei gleichen Veranlassungen fast stets auch die gleichen Gedanken mit einander hatten, ebenso jetzt: wir sahen zunächst nicht nach der Frau sondern nach den Schlangen. Sie waren durch Erwürgung getötet worden. Ihre fast zwei Meter langen Körper zeigten, mehr in der Nähe des Kopfes als hinten, zahlreiche kleine, wie von einer Stopfnadel herrührende Löcher in der Haut, doch mußte man sehr scharf hinsehen, um sie zu bemerken. Ich nickte dem Apatschen befriedigt zu, und er antwortete mit einem frohen Lächeln; Worte brauchten wir nicht.
    Nun wendeten wir uns zu der Frau. Die Krämpfe hatten plötzlich nachgelassen; sie lag nun bewußtlos. Wir fanden an ihren Beinen bis zum Knie herauf, an ihren Armen und besonders an den Händen die Spuren von Bissen, deren Umgebung zwar, aber nicht stark, angeschwollen und blau gefärbt war, also nicht so dunkel, wie ihr Sohn gesagt hatte. Sie durfte nicht länger in der Grube liegen. Wir hoben sie so hoch empor, daß Hammerdull und Holbers sie vollends hinausnehmen konnten; dann stiegen wir mit dem jüngeren Knaben nach. Ich wendete mich zu Folder, welcher mit »Langer Leib« gefesselt neben der Cache lag:
    »Siehst Du, Schurke, daß wir Dein Geständnis nicht gebraucht haben! Wo sind die andern drei Schlangen?«
    »Ein Sioux hat den Ledersack, in welchem sie stecken, auf dem Pferde,« antwortete er.
    »So hast Du sie also für den Häuptling der Upsaroka mitgenommen. Aber Deine Berechnung war eine falsche. Die Squaw hat wohl zwanzig Bisse erhalten, wird aber doch nicht sterben, weil die Giftdrüsen leer gewesen sind. Die in dem Ledersack eng zusammengedrückten und darüber zornigen Schlangen haben sich unter einander selbst gebissen, wie wir jetzt an ihren Häuten gesehen haben und dadurch wurde der Giftvorrat erschöpft. Deine Lage wird dadurch freilich nicht verbessert, denn Du wirst trotzdem als Mörder behandelt werden.«
    »Was geht denn Euch das an, was ich mit den Roten vorhabe? Ihr wollt Euch doch nicht etwa als Richter über mich aufspielen? Das müßte ich mir verbitten! Ich verlange, von Euch freigelassen zu werden!«
    »Warte das ab, Bursche! Du wirst noch froh sein, wenn wir uns als Richter Deiner erbarmen.«
    »Das bildet Euch nicht ein! Ich würde lieber sterben, als mich unter Euer Urteil stellen.«
    »Gut, merke Dir das! Wir sind mit einander fertig.«
    Da ihre Mutter noch bewußtlos war, mußten die Knaben uns nun erzählen, was sich nach unserer Entfernung vom gestrigen Lauscherposten ereignet hatte. Das war folgendes:
    Man hatte nach etwaigen Begleitern der Squaw gesucht, aber niemand gefunden. Sie hatte dann mit heißer Angst und unablässig um das Leben ihrer Kinder gefleht, doch vergeblich. Sie hatte mit der Rache ihres Mannes gedroht, und als dies nur ein Gelächter Folders zur Folge gehabt hatte, war sie in ihrer Verzweiflung so unvorsichtig gewesen, zu sagen, daß wir hier in der Nähe seien. Die Wirkung war freilich sofort eingetreten, aber leider eine entgegengesetzte: anstatt einer Aenderung ihres Schicksals war eine Beschleunigung desselben eingetreten. Man hatte sie mit ihren Kindern unter dem Scheine von Feuerbränden nach der Cache gebracht, diese geöffnet und von den Klapperschlangen drei hinabgeworfen; dann waren die drei Unglücklichen, an Händen und Füßen gefesselt, hinabgelassen worden. Hierauf war Folder aus Besorgnis vor uns mit den Sioux aufgebrochen. Er wollte die Upsaroka’s ausrauben, so viele wie möglich von ihnen töten und ihren Häuptling lebendig hierherbringen, um ihn dem Schicksale seines Weibes und seiner Kinder zu weihen. Aus diesem Grunde hatte er zwei Krieger zur Bewachung der Grube zurückgelassen. Diese hatten Angst gehabt, von uns entdeckt zu werden, und sich, sobald es Tag geworden war, von hier entfernt, um nach uns zu forschen. Inzwischen hatte sich hier in der Grube ein Beispiel selbstlosester, aufopfernster Mutterliebe ereignet, wie es bewundernswerter gar keines geben kann. Die Knaben hatten sich in

Weitere Kostenlose Bücher