Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
einer Ecke eng zusammengedrückt und sich aus Furcht vor den Schlangen vollständig bewegungslos verhalten. Die Mutter aber hatte, um ihre Kinder von dem schrecklichen Tode zu erretten, den ihre Hände zusammenhaltenden Riemen mit den Zähnen zernagt und, als sie dadurch die Arme frei bekam, im Finstern nach den Schlagen gesucht, um sie unschädlich zu machen, was nur dadurch geschehen konnte, daß sie eine nach der andern erwürgte. Daß sie dabei selbst und zwar viele Male gebissen wurde, kam bei ihr nicht in Betracht.
Als die dritte Schlange tot war, knotete die Squaw ihren Söhnen mit größter Mühe die Fesseln los, dann brach sie zitternd, fröstelnd, schwindelnd und fiebernd zusammen. Kurze Zeit später graute der Tag. Da sich kein Wächter sehen ließ, stieg der eine rote Boy auf die Schultern des andern, schwang sich hinaus und brach die schon erwähnte junge Fichte ab, mit deren Hülfe der Bruder nachfolgte.
Kaum war das geschehen, so kam der eine Posten zurück; sie hörten ihn und versteckten sich. Er hatte unsere Spuren entdeckt und an ihnen ersehen, daß wir fort waren; nun fühlte er sich sicher. Er band sein Pferd an, lehnte sein Gewehr an einen Baum und ging zur Grube, um hinabzusehen; als er nur die Squaw bemerkte, fuhr er erschrocken zurück. Mittlerweile war der ältere Bruder zu dem Baum gehuscht, hatte das Gewehr ergriffen, spannte den Hahn, zielte auf den Sioux und schoß ihn nieder. Hierauf zog er ihm das Messer aus dem Gürtel und schnitt ihm, wenn auch nicht so leicht und regelrecht wie ein erwachsener Krieger, den Skalp herunter. Dann wurde der Tote fortgeschafft und versteckt.
»Hier sitzt Winnetou der Häuptling der Apatschen, es ist Friede!«
Nun luden die Brüder das Gewehr wieder, um auch den zweiten zu erschießen. Das sollte der jüngere thun, der auch einen Skalp haben wollte. Der Sioux kam nach einiger Zeit und wurde in den Kopf geschossen, skalpiert und zu dem andern Toten geschleift. Jetzt waren die jungen Indsmen Herren des Platzes und konnten sich um ihre Mutter bekümmern. Der eine stieg hinab zu ihr, damit sie nicht allein sei; der andere ging um das giftverzehrende Schlangenkraut zu suchen. Dabei fanden wir ihn. Daß jeder der Knaben einen Skalp erbeutet hatte, das sicherte ihnen nicht nur volle Straflosigkeit von seiten ihres Vaters zu, sondern machte sie auch zum Eintritt in die Reihen der jungen Krieger würdig. Sie waren außerordentlich stolz darauf; man sah es ihnen an, wie sie vor Freude und Mut strahlten.
Nun wir die Hauptsache erfahren hatten, galt es vor allen Dingen, zunächst für die Squaw zu sorgen und uns dann auf die Rückkehr der Sioux vorzubereiten. Mir war es, als ob ich Schlangenkraut vorhin draußen am Lagerplatze hätte stehen sehen. Ich sagte dies Winnetou, und er forderte mich auf, es ihm zu zeigen. Wir gingen hinaus. Indem wir darnach suchten, stieß der Apatsche ein lautes »Uff!« aus und sprang unter die Bäume; ich folgte ihm schnell. Wir sahen eine sehr beträchtliche Reiterschar auf uns zukommen. Als sie sich uns so weit genähert hatte, daß wir die Kriegsfarben erkennen konnten, rief Winnetou:
»Das ist Uandutschka sapa mit seinen Upsaroka’s. Sie halten sich für unsere Feinde; wir aber wollen uns den Scherz machen, uns von ihnen umzingeln zu lassen.«
Wir traten also wieder hinaus ins Freie. Kaum sahen sie uns, so ließen sie ihr Kriegsgeschrei hören, kamen herangejagt und schlossen uns ein.
»Uff, uff!« rief die »Schwarze Schlange«. »Old Shatterhand und Winnetou! Nehmt diese Hunde fest damit wir den Marterpfahl mit ihnen zieren!«
Winnetou setzte sich nieder, stieß die Klinge seines Messers in den Rasen und sagte:
»Hier sitzt Winnetou, der Häuptling der Apatschen; er gräbt das Messer des Krieges in die Erde, es ist Friede!«
Ich setzte mich neben ihn, deutete mit der Hand nach der betreffenden Richtung und forderte die »Schwarze Schlange« auf:
»Der Häuptling der Upsaroka’s will die Sioux Ogallalah fangen. Er ist auf einem falschen Wege nach den Rattlesnake-Bergen geritten und wieder umgekehrt, weil er die Spuren der Sioux gefunden hat, welche nach seinen Jagdgründen wollen. Er ist diesen Spuren bis hierher gefolgt. Wir wollen ihm die Anführer der Sioux als seine Gefangenen schenken. Wenn er sie haben will, mag er der Spur folgen, welche dort links in den Wald hineinführt!«
»Uff!« rief er aus. »Das kann nichts anderes sein als ein Verrat!«
»Sind Winnetou und Old Shatterhand Verräter? Kann man
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