Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
jeder, der sich zum Babismus bekannt hatte, mußte entweder flüchten oder seinen Glauben abschwören. Die Regierung glaubte, der Sekte damit den Todesstoß versetzt zu haben; aber das Feuer glimmte heimlich fort. Man wußte, daß es sich in der Verborgenheit immer weiter ausdehnte und bald hier, bald da in einzelnen Funken zu Tage kam. Über ganz Persien verbreitete sich die Ansicht, daß der Schah gewiß nicht eines natürlichen Todes, sondern von der Hand eines Babi sterben werde. Einige von den erwähnten Funken waren es, von denen man uns in Chanekihn und Serpuhl erzählt hatte. Wir achteten nicht darauf; denn, wie gesagt, wir hatten mit dem Rachedurst der Babisten nichts zu thun und fürchteten sie ebensowenig, wie wir uns vor den Bachtijaren und Alli-Ilahi’s ängstigten.
Wir ritten also ohne Sorge in den kühlen Märzmorgen hinein und freuten uns, die obenerwähnte, schwer gangbare Schlucht überwunden zu haben. Links von uns schienen sich hohe, nackte Felswände stundenweit hinzuziehen, während zur rechten Hand das Gebirge in sanfteren Bogenlinien abwärts stieg. Leider vermißten wir den Wald, an dem Persien überhaupt nicht reich zu nennen ist. Die Sonne war nicht zu sehen, weil dichte Wolken den Himmel bedeckten. Es spritzte ein feiner Regen herab, welcher nach und nach dichter wurde und schließlich mit einem solchen Eifer niederfiel, daß Halef unwillig ausrief:
»Sihdi, das Wasser dringt mir schon bis auf die Haut; soll es mir etwa noch tiefer kommen? Da drüben steht ein altes Gemäuer. Wollen wir versuchen, dort Schutz zu finden, bis diese übervollen persischen Wolken leer geworden sind?«
Er lenkte, ohne meine Antwort abzuwarten, nach der rechten Seite hinüber, wo die Ruine eines alten Bauwerkes wahrscheinlich früherer Jahrhunderte lag. Es war von einer dichten Süßholzwildnis umgeben, durch welche ein niedergetretener Pfad in das Innere führte. Dies ließ vermuten, daß dieser schon oft als Zufluchtsstätte benutzt worden war. Wir ritten durch das Gestrüpp und kamen in ein oben offenes Mauerviereck, welches keinen Schutz vor dem Regen bot. Aber uns gegenüber führte eine Lücke weiter, durch welche wir in einen zweiten Raum gelangten, dessen Decke noch halb vorhanden war. Da konnten wir trocken sitzen, wenn wir – – die Erlaubnis dazu bekamen.
Es befanden sich nämlich schon zwei Personen hier, ein Mann und ein Knabe, welche, ihrer ärmlichen Kleidung nach zu schließen, Bettler waren. Dieses Handwerk schien hier ein sehr nahrhaftes zu sein; denn der Mann war von fast riesigen Körperformen, und man sah seinen starken Gliedern keine Spur von Hunger an. Der Knabe war sein verkleinertes, aber gar nicht schwaches Ebenbild. Sie zeigten, als sie uns erblickten, keine Spur von Überraschung. Der Riese stand langsam auf und neigte, ohne ein Wort zu sagen, zur Begrüßung den Kopf.
»Ässälam ‘aleikum!« grüßte ich.
»Vä ‘aleikum ässälam!« antwortete er.
»Bist Du der Besitzer dieses Ortes?«
»Nein. Er gehört jedermann.«
»Erlaubst Du uns, hier vor dem Regen Zuflucht zu suchen?«
»Du bist der Gebieter; wir haben ausgeruht; wir gehen.«
»Bleib’! Es ist Platz für uns alle.«
Er ließ sich aber nicht halten, sondern ging; der Knabe stand nun auch auf und folgte ihm. Sie entfernten sich nicht nach der Seite, von welcher wir gekommen waren, sondern nach der entgegenliegenden, wo die Hälfte der Mauer eingestürzt war und die dadurch entstandene Lücke nicht ganz durch die davorstehenden Holunder verdeckt wurde.
Das Benehmen des Fremden war keineswegs verdachterweckend. Er, der arme Teufel, scheute sich, mit Leuten eng beisammen zu sein, die nach seiner Ansicht hoch über ihm standen. Ich stieg dennoch rasch vom Pferde, um ihm nachzublicken. Sie gingen einem naheliegenden Bidmuschk 15 -Dickicht entlang und lenkten dann nach unserm Weg hinüber.
Auch Halef war abgestiegen. Das Dach gab Platz für uns beide und auch für unsere Pferde. Wir machten es uns bequem. Wir lagen eng nebeneinander und plauderten. Die Gewehre steckten der Nässe wegen in ihren Futteralen. Der Regen strömte wie aus umgestürzten Gefäßen hernieder. Das durch ihn verursachte Geräusch war so stark, daß die Annäherung eines Menschen, ja eines Reiters nicht zu hören gewesen wäre. Ich sage dies zu meiner Entschuldigung, aber es ist doch eine desto schwerere Anklage; denn wenn wir uns nicht auf unsere Ohren verlassen konnten, so hätten wir mit den Augen um so aufmerksamer sein sollen.
Ich
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