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Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Titel: Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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daß mir das Wasser in die Augen trat. Ich hatte diesem Manne mehr als hundert Male mein Leben zu verdanken; es konnte mir nichts Glücklicheres geschehen, als ihn hier zu treffen. Er blickte mich immer von Neuem mit liebevollen Augen an; er drückte mich immer von Neuem an seine Brust, bis er sich endlich erinnerte, daß wir nicht allein waren.
    »
Ti ti ute
– wer ist dieser Mann?« fragte er, auf Walker deutend.
    »
Aguan ute nshó, shi shteke ni shteke
– er ist ein guter Mann, mein Freund und auch Dein Freund,« antwortete ich.
    »
Ti tenlyé aguan
– wie ist sein Name?«
    »
The thick Walker,
« nannte ich englisch den Namen meines Gefährten.
    Da streckte er auch Fred die Hand entgegen und begrüßte ihn:
    »Der Freund meines Bruders ist auch mein Freund! Fast hätten wir uns erschossen, aber Schar-lih hat die Stimme meiner Büchse erkannt, wie ich auch die seinige erkannt hätte. Was thun meine weißen Brüder hier?«
    »Wir verfolgen die Feinde, deren Fährte Du hier im Grase siehst,« antwortete ich.
    »Ich habe sie erst vor einigen Minuten erblickt. Ich komme von Osten her an dieses Wasser. Was für eine Farbe haben die Männer, denen Ihr folgt?«
    »Es sind Weiße und einige Ogellallah.«
    Bei dem letzten Worte zogen sich seine Brauen zusammen. Er legte die Hand an den glänzenden Tomahawk, welcher in seinem Gürtel steckte, und sagte:
    »Die Söhne der Ogellallah sind wie die Kröten; wenn sie aus ihren Löchern kommen, so werde ich sie zertreten. Darf ich mit meinem Bruder Schar-lih gehen, um die Ogellallah zu sehen?«
    Nichts konnte mir willkommener sein als diese Frage. Wenn wir Winnetou zu unserm Verbündeten erhielten, so war das ebenso, als wenn zwanzig Westmänner zu uns gehalten hätten. Ich wußte zwar, daß er nach so langer Trennung mich keineswegs sogleich verlassen würde; aber daß er sich selbst zur Begleitung anbot, das war ein Zeichen, daß ihm unser Abenteuer ein willkommenes sei. Darum antwortete ich:
    »Der große Häuptling der Apachen ist uns gekommen wie der Sonnenstrahl dem kalten Morgen. Sein Tomahawk mag wie der unserige sein.«
    »Meine Hand ist Euere Hand, und mein Leben ist Euer Leben. Howgh!«
    Dieses letztere Wort gebrauchte Winnetou stets als Bekräftigung, und so konnten wir sicher sein, daß er auch in der größten Gefahr zu uns halten werde.
    Was meinen dicken Fred betrifft, so war es ihm sehr deutlich anzusehen, welchen gewaltigen Eindruck der Apache auf ihn machte. Es wäre jedem Andern auch so ergangen, denn Winnetou war wirklich das Prachtexemplar eines Indianers, und sein Anblick mußte einen jeden Westmann entzücken.
    Er war nicht etwa übermäßig hoch und massig gebaut, sondern grad die zierlichen, dabei aber äußerst nervigen Körperformen und die Spannkraft einer jeden seiner Bewegungen hätten auch dem stärksten und erfahrensten Trapper imponirt. Seine breiten Schultern und seine starke Brust waren nackt und mit Narben bedeckt. Um seine engen gerundeten Hüften schlang sich eine feine Decke von Santillo, in glänzenden verschiedenartigen Farben schillernd. Eine kurze, prächtig gegerbte Wildlederhose legte sich eng um seine muskulösen Oberschenkel und war an den Seiten mit den Scalplocken getödteter Feinde geschmückt. Gamaschen von scharlachrothem Tuche bedeckten seine Unterschenkel; von Menschenhaaren geflochtene Kniebänder, die mit aus Stachelschweinsborsten gefertigten Eicheln verziert waren, umschlossen diese Gamaschen unterhalb des Knies und oberhalb des Knöchels, und die Füße staken in kunstreichen Moccassins, welche mit Zierrathen von Pferdehaar ausgeputzt waren. Um die schimmernde Santillodecke trug er einen wasserdichten Ledergurt, gleich dem meinigen, in welchem das leicht gekrümmte Scalpmesser, der glänzende Tomahawk und zwei Revolver steckten. Von seinen Schultern hing das schwere Fell eines grauen Bären. Wäre sein Gesicht nicht mit den Kriegsfarben bemalt gewesen, so hätte man eine ächt römische Nase, eine ungewöhnlich hohe Stirn, einen kühn geschnittenen Mund und zwei Augen bewundern können, welche bestimmt zu sein schienen, durch ihren Blick zu herrschen. Die fast unmerklich hervortretenden Backenknochen störten die schöne Harmonie dieser männlich biedern Züge nicht, vielmehr gaben sie ihnen etwas eigenthümlich Fremdartiges, was den Beschauer frappiren und fesseln mußte. Sein Kopf war unbedeckt, und er trug das Haar in einen hohen Schopf geflochten, aus welchen das Häuptlingszeichen, mehrere Rabenfedern,

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