Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
Mensch den Fuß in die Prairie setzt, tritt er aus dem Schutze der socialen Gemeinschaft heraus und sieht sich dagegen von Verhältnissen umgeben, welche ihn auf allen Seiten zum Kampfe auffordern. Er hat mit einer unbarmherzigen Natur zu ringen und weiß, daß diese Natur belebt ist von Menschen, die wenigstens ebenso unbarmherzig sind. Von dem Augenblicke an, an welchem der erste Weiße die Savanne betrat, bis auf den heutigen Tag ist die Geschichte des Westens mit Blut geschrieben.
Dieser Westen mit seinen »finstern und blutigen Gründen« ist der Schauplatz eines Vernichtungskampfes, wie er gar nicht grausamer und erbitterter geführt werden kann. Die weiße Raçe zeigt sich auch hier der dunkler gefärbten überlegen. Niemand darf sagen, daß der Indianer vor dem Erscheinen der Weißen gesittungslos gewesen sei. Die Ruinen mächtiger Atobesstädte und andere monumentale Ueberreste, mit denen die ägyptischen Pyramiden keinen Vergleich aushalten, beweisen das Gegentheil. Ein jeder Mensch ist eben als Mensch existenzberechtigt; er soll die Freiheit haben, sich nach seiner Eigenart zu entwickeln, so lange er damit nicht das Wohl seiner Nebenmenschen gefährdet. Ein jeder Mensch ist ein Ebenbild Gottes, der die Liebe ist; alle Gesetze menschlicher Entwickelung sollen sich auf das eine, große Gesetz der Liebe gründen, damit das Ebenbild des großen göttlichen Meisters nicht beleidigt, beschimpft und entweiht werde. Welch eine traurige, jammervolle Episode der Geschichte bildet da der Untergang einer ganzen Menschenrasse, welche vor drei Jahrhunderten nach vielen Millionen zählte und heut nur noch aus einzelnen Hunderten, aus wenigen meist verkommenen, entnervten und corrumpirten Rudera besteht!
Als die Mongolen sich auf die Kaukasier warfen, ertönte durch ganz Europa und Westasien ein einziger Schrei der Entrüstung und alle die Millionen »Blaßgesichter« hielten sich vor göttlichen und menschlichen Gesetzen nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, die Dschingiskhans und Timurlenks mit blutigen Köpfen zurückzuweisen. Und als dann kurze Zeit später diese »Bleichgesichter« ihre Völkerwanderung über den Ocean begannen, da räumten sie den »Rothhäuten« weder Rechte noch Pflichten ein und gestatteten ihnen höchstens großmüthig, sich zurückzuziehen. Der Indianer mußte seine Heimath, seine Weide-und Jagdgründe aufgeben, und wenn er eine neue Heimath gefunden hatte, so kam das Bleichgesicht und machte ihm mit den Waffen in der Hand erklärlich, daß er sich eine dritte Heimath suchen müsse. So ist er von Heimath zu Heimath getrieben worden, bis zuletzt in diejenige Heimath, aus welcher ihn glücklicher Weise kein spekulativer und selbstsüchtiger Yankee mehr vertreiben kann – in die »ewigen Jagdgründe.«
Auch über die weiten Fernen Nordamerika’s ist ein Schrei der Entrüstung erschollen, aber dieser Schrei wurde nicht beachtet; der Indianer muß einfach weichen, muß sterben, muß verschwinden und untergehen. Das Bleichgesicht sagt freilich, daß es der Rothhaut Bildung und Gesittung bringe, und daß der »Indsman« nur deshalb untergehe, weil er diese Bildung nicht annehme. Aber hatte der Rothe den Weißen nicht mit einem Vertrauen, einer Gastfreundlichkeit und einer Hochachtung und Ehrerbietung aufgenommen, wie man sie von einem »gebildeten« Manne nur verlangen kann? Hat der Weiße jemals Lust gezeigt, die wohlberechtigte Eigenart des Rothen zu berücksichtigen? Hat er ihm jemals Zeit gelassen oder ihn durch eigenes Beispiel veranlaßt, diese Gesittung nach ihrem Werthe anzuerkennen? Stellt er sich ihm in allen seinen Anforderungen nicht so schroff gegenüber, daß dem Rothen nur übrig bleibt, sich assimiliren zu lassen oder von der Erde zu verschwinden?
Und was ist das Traurigste, das Allertraurigste bei diesem furchtbaren Prozeß einer vollständigen Rassenvernichtung? Daß der Indianer die Religion der Liebe, das Christenthum hassen lernt! Und doch ist die heilige Lehre des Erlösers so außerordentlich unschuldig an seinem Untergange. Alle die wahrhaft frommen Männer, welche als wirkliche Glaubensboten unter den Indianern wirkten, haben die Rechte dieser Nation anerkannt. Diejenigen aber, welche nur von der Habsucht und Eroberungslust hinübergetrieben wurden, legten die christliche Propaganda nur als Maske vor, um ihr häßliches Angesicht hinter derselben zu verbergen. Hunderte von, besonders katholischen, Missionen sind noch heut in Mittel-und Südamerika in
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