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Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Titel: Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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halten, sondern uns alle Beide schlafen legten, nachdem Fred seinen Victory versorgt hatte.
    Am andern Morgen brachen wir sehr in der Frühe auf und erreichten am Nachmittage den Ort, an welchem die Railtroublers während der verflossenen Nacht gelagert hatten. Sie hatten mehrere offene Feuer gebrannt, schienen also jeder Verfolgung Hohn sprechen zu wollen. Gegen Abend ritten und gingen wir demselben Flüßchen entlang über eine Ebene hin und hielten auf eine Ecke zu, welche der Urwald gegen das Grasland bildete. Wir hatten die Verfolgten fast eine ganze Tagereise vor uns und fühlten uns um so sicherer, als wir auch nicht die mindeste Spur von der Anwesenheit eines andern Menschen bemerkt hatten. Wir erreichten die Ecke und wollten um dieselbe biegen, als wir Beide plötzlich zurückfuhren. Vor uns hielt ein Indianer, der zu derselben Minute im Begriffe gestanden hatte, von der andern Seite um die Spitze zu biegen. Er war mit einem Rappen beritten und führte ein mit einem beladenen Packsattel aufgeschirrtes Pferd neben sich.
    In ganz demselben Momente, als er uns erblickte, glitt er blitzschnell vom Pferde, so daß er hinter demselben Deckung bekam, und schlug die Büchse auf uns an. Das ging so schnell, daß ich von ihm nur die Gestalt und die Bemalung der Gesichtes gesehen hatte, aber auch nur so flüchtig und undeutlich, daß ich nicht einmal entscheiden konnte, zu welchem Stamme er gehöre.
    Auch Fred war mit derselben Gewandtheit von seinem Pferde gesprungen und hatte sich hinter dasselbe gestellt, ich aber schnellte mich mit einem raschen, weiten Satze in die Waldecke hinein und faßte hinter einer starken Blutbuche Posto. Kaum jedoch stand ich da, so blitzte die Büchse des Indianers auf, und seine Kugel schlug in den Stamm der Buche – nur den zehnten Theil eines Augenblickes früher, so hätte sie mich durchbohrt. Dieser Mann hatte sofort erkannt, daß ich ihm gefährlicher sei als Fred, weil ich durch die Bäume gedeckt, ihn und seine Pferde umgehen und dann von hinten auf ihn schießen konnte.
    Schon während meines Sprunges hatte ich die Büchse halb erhoben, jetzt aber, als die Kugel in den Baum schlug, ließ ich sie wieder sinken. Warum?
    Ein jeder erfahrene Westmann weiß, daß ein jedes Gewehr seine eigene Stimme hat. Es ist unendlich schwierig, den Krach zweier Büchsen in dieser Beziehung zu unterscheiden; aber das Leben in der Wildniß schärft die Sinne bis zur höchsten Potenz, und wer eine Büchse öfters gehört hat, der kennt ihren Knall unter hunderten heraus. Daher kommt es, daß Jäger, die sich früher trafen und dann lange Zeit nicht mehr sahen, sich bereits von Weitem an der Stimme ihrer Gewehre wieder erkennen.
    So ging es auch mir in diesem Augenblicke. Die Büchse, mit welcher der Wilde jetzt geschossen hatte, hätte ich während meines ganzen Lebens nicht vergessen können. Ich hatte ihren scharfen, sonoren Knall während einer ganzen Reihe von Jahren nicht gehört, erkannte ihn aber im Augenblicke. Sie hatte dem berühmten Apachenhäuptling Winnetou gehört, jenem Indianer, von dem Walker gestern am Bahndamm gesprochen hatte, und der mein Lehrer und Freund gewesen war im wildesten Wald-und Savannenleben. War er es selbst, der sie jetzt noch trug, oder war sie in eine andere Hand übergegangen? Ich rief in der Mundart der Apachen hinter dem Baume hervor:
    »
Toselkhita, shi shteke
– schieß nicht, ich bin Dein Freund!«
    »
To tistsa tá ti. Ni peniyil
– ich weiß nicht, wer Du bist. Komm heraus!« antwortete er.
    »
Ni Winnetou, natan shis inté
– bist Du Winnetou, der Häuptling der Apachen?« fragte ich, um ganz sicher zu gehen.
    »
Ha-au
– ich bin es!« antwortete er.
    Im Nu sprang ich hinten dem Baume hervor und auf ihn zu. Ja, das war er, der Held so vieler Abenteuer, der einzige Indianer, den ich von Herzen lieb gewonnen hatte, der herrliche stolze Krieger, der seine gefahrvollen Streifzüge stets allein unternahm, weil er mit seiner Tapferkeit einen ganzen Stamm aufwog! Auch er erkannte mich sofort.
    »Schar-lih!« rief er frohlockend.
    So pflegte er nämlich meinen englischen Vornamen Charles oder Charley, auszusprechen. Er öffnete die Arme, und wir lagen uns am Herzen.
    »
Schar-lih, shi shteke, shi nta-ye
– Charles, mein Freund, mein Bruder!« rief er, beinahe weinend vor Freude. »
Shi intá ni intá, shi itchi ni itchi
– mein Auge ist Dein Auge, und mein Herz ist Dein Herz!«
    Auch ich war so ergriffen von diesem so ganz und gar unerwarteten Wiedersehen,

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