Der seekranke Walfisch. Oder: Ein Israeli auf Reisen.
man in den meisten Fällen eine Mischehe eingehen. Und es verstreichen oft zwanzig Jahre, ehe ein in der Schweiz lebender Nichtschweizer das erste Ausweispapier bekommt, die »Provisorische Identitätskarte für einen vorübergehend in der Schweiz wohnhaften Ausländer kurz vor der Abreise«.
Die einzigen wirklichen Schwierigkeiten hat man aber auch in der Schweiz mit den Juden.
In der Schlußphase des letzten Krieges beging die kleine Schweiz den Fehler, der den menschenfreundlichen Großmächten niemals unterlaufen wäre: Sie nahm eine Menge verfolgter Juden auf. Das mußte sie bitter büßen. Als der Sturm vorüber war, verabsäumte es ein beträchtlicher Teil dieser Juden, sich in alle vier Winde zu zerstreuen, wie man es eigentlich von ihnen erwartet hatte. Die blieben im Lande, wurden tüchtige Uhrmacher und Bankiers und erregten dadurch das Mißtrauen der Regierung. Mindestens einmal im Monat bekommen sie von den Schweizer Behörden schön gedruckte Prospekte zugeschickt, die ihnen in glühenden Farben die landschaftlichen und wirtschaftlichen Vorzüge anderer Länder schildern und mit der ebenso höflichen wie unmißverständlichen Frage schließen: »Wann gedenken Sie abzureisen?«
Darauf antwortet der Ausländer, daß es maximal noch ein paar Jahre dauern könnte und daß er demnächst beginnen würde, sich nach einem Reiseziel umsehen.
Diese niedlichen Spielchen wird in den besten Traditionen des Kalten Kriegs ungefähr fünfzehn Jahre fortgesetzt, bis der Ausländer genug hat und eines Tages eine Mitteilung ungefähr folgenden Wortlauts an die Behörde ergehen läßt:
»Es wird Sie vielleicht wundern, aber ich habe nicht die Absicht, die Schweiz zu verlassen. Warum sollte ich? Ich fühle mich hier sehr wohl.«
Von da an läßt man ihn in Ruhe und begnügt sich damit, seine provisorische Aufenthaltsbewilligung in regelmäßigen Intervallen durch eine etwas weniger provisorische zu ersetzen, was jedesmal mit einem neuen Verhör und der Erfüllung neuer Bedingungen verbunden ist: Der Fremde muß nachweisen, daß er nur noch in Ausnahmefällen deutsch spricht und sich im allgemeinen jenes Idioms bedient, das in manchen Kreisen als »Schwyzerdütsch« und in manchen als »Alpenjiddisch« bezeichnet wird; daß er ein überdurchschnittlicher Kegler ist; daß er ein Bankguthaben und womöglich eine Bank besitzt; und daß er im benachbarten Schützenverein mit einem leichten Infanteriegewehr auf hundert Meter Entfernung eine Punktwertung von mindestens 75 erzielt hat.
So ein Schützenverein ist eine ernste Sache. Die Schweizer tragen schwer daran, daß es seit jenem historischen Tag, an dem Wilhelm Teil den Apfel vom Kopf seines Söhnchens herunterschoß, in der ganzen Schweiz keine einzige größere militärische Aktion mehr gegeben hat. Dessenungeachtet - und gerade darum - legen sie Wert darauf, als ein wehrhaftes Volk zu gelten, und man muß zugeben, daß sie sich seit dreihundert Jahren unermüdlich auf ihren Großen Vaterländischen Krieg vorbereiten. In jüngster Vergangenheit hat es auch schon ein paarmal so ausgesehen, als ob - aber dann kam doch immer wieder etwas dazwischen, ohne daß die Schweizer ihre kriegerischen Qualitäten beweisen konnten. Sie haben eben kein Glück.
Höflichkeit. Tüchtigkeit. Pünktlichkeit.
In der Schweiz muß man pünktlich sein, denn auch die Schweizer sind es. Pünktlich wie die Uhrzeiger. Alle öffentlichen Plätze, ob unter freiem Himmel oder gedeckt, strotzen von öffentlichen Uhren, und noch im kleinsten Bäckerladen gibt es mindestens zwei. Dem aus Asien kommenden Besucher fällt es nicht immer leicht, das Vertrauen, das die Schweiz in seine Pünktlichkeit setzt, zu rechtfertigen.
Zum Beispiel hatte ich mich für Dienstagabend mit einem Theaterdirektor verabredet, pünktlich um 22 Uhr 15, nach der Vorstellung. Am frühen Abend kam ich in mein Hotel, und da ich die beste Ehefrau von allen bei Freunden abgegeben hatte, blieb mir noch genügend Zeit für ein gesundes Schläfchen. Ich ließ mich mit dem Empfang verbinden und bat, um 21 Uhr 45 geweckt zu werden, denn ich wollte zu dem für mich sehr wichtigen Rendezvous auf die Minute pünktlich erscheinen.
»Gern«, sagte der Empfang. »Angenehme Ruhe.«
Im sicheren Bewußtsein, daß die berühmte Zuverlässigkeit der Schweiz für mich Wache hielt, fiel ich in tiefen, kräftigen Schlummer. Mir träumte, ich wäre ein original schweizerischer Pudel, umhegt und gepflegt und in Luxus gebettet. Als das Telefon
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