Der seekranke Walfisch. Oder: Ein Israeli auf Reisen.
wie ein Liebespaar, so daß unser Schweigen dem Fahrer nicht weiter auffiel. Nach wenigen Minuten passierten wir den Obelisk auf der Place de la Concorde. Meine Frau griff nach der französischen Zeitung, die ich demonstrativ in der Hand hielt und kritzelte mit ihrem Augenbraunstift an den Rand:
»Wir werden gleich im Hotel sein. Der Idiot von einem Fahrer hält uns für Franzosen.«
Unerforschlich jedoch ist Gottes Ratschluß, wahrhaft unerforschlich. - Ein paar Sekunden später öffnete meine Frau ihre Handtasche, warf einen angstvoll suchenden Blick hinein und erbleichte:
»Oj!« rief sie in lautem, unverfälschtem Hebräisch. »Wo, um Gottes willen, sind unsere Pässe?«
Ich hielt ihr rasch den Mund zu (die Pässe befanden sich, wie immer, in meiner rechten Brusttasche) und versuchte im Rückspiegel das Gesicht des Fahrers zu erspähen. Umsonst. Nun, wenigstens hatte er sich nicht nach uns umgewandt. Es schien mir nur, als ob er ein paarmal mit den Ohren gezuckt hätte. Sonst geschah nichts. Außer, daß er plötzlich das Lenkrad scharf nach links drehte und Gas gab. Unruhe erfaßte uns. Es war keine Frage mehr: Der Schrek- kensruf meiner Gattin hatte uns als Ausländer entlarvt. Jetzt hieß es handeln, sonst waren wir verloren. In die angespannte Stille - und so, daß der Fahrer es hören konnte - ließ ich mein bestes Französisch los:
»Comment allez vous? La plume de ma tante est plus belle que le jardin de mon oncle. Garcon, je voudrais manger. L'ad- dition, s'il vous plait.« Noch während die Durchsage lief, sah ich im Rückspiegel das eine Auge des Fahrers auf mich gerichtet, direkt auf mich, ein großes, graues, stählernes, unbarmherziges Auge. Ich begann zu zittern und fühlte, wie mir der Schweiß ausbrach. In diesem Augenblick fiel die beste Ehefrau von allen aus einer instinktiven Eingebung über mich her und begann mich zu küssen, a la Parisienne, wie eben nur Französinnen in der Öffentlichkeit zu küssen verstehen... Als der Kuß zu Ende war, zeigte das Taxameter 5,60 Francs. Der Fahrer hatte uns durchschaut. Er wußte, daß wir keine Franzosen waren. Er, Jean-Pierre wußte es. Auch die Art, wie er jetzt fuhr, war immer ein Beweis dafür. Immer neue Linkskurven warfen uns immer wieder in die rechte Ecke des Fonds. Kaum hatten wir die Seine überquert, kam wieder eine scharfe Wendung nach links und dann wieder die Seine. Wir überquerten sie mehrere Male. Dann passierten wir einen langen Tunnel und dann einen neuen Obelisk. Ich konnte mich einer tadelnden Bemerkung nicht enthalten:
»Diese Franzosen mit ihren ewigen Säulen«, flüsterte ich meiner Gattin zu.
»Es ist der Obelisk von vorhin«, entgegnete sie tonlos. Das Taxameter stand auf 9 Francs. Das war genau das Dreifache der von unsrem Freund veranschlagten Summe. Vielleicht interessiert es den geneigten Leser, warum wir nichts unternahmen, um den Wagen, der wie ein scheugewordener Satellit im Weltraum umhersauste, zu stoppen? Dafür gibt es verschiedene Erklärungen. Erstens sind wir beide von Natur aus eher schüchtern. Zweitens sprechen wir beide - der geneigte Leser erinnert sich vielleicht - sehr schlecht französisch. Und drittens: Was sollten wir tun? Ein andres Taxi nehmen? Schließlich hatte uns Jean-Pierre jetzt schon durch einen ansehnlichen Teil Frankreichs geführt, wir kannten seine Fahrweise, seine Eigenheiten und Schwächen - warum sollten wir uns auf Experimente mit einem neuen Chauffeur einlassen? Trotzdem gaben wir noch nicht völlig auf. Meine Frau versuchte es abermals mit einer Aktion a la Parisienne, aber ich war außerstande, ihr den richtigen Partner abzugeben. Wir mußten unsere Kräfte sparen, mußten unsere Verluste möglichst niedrig halten, um weiterzukämpfen. Jean-Pierre, daran bestand kein Zweifel, fuhr mit uns im Kreise. In regelmäßigen Intervallen von sechs Minuten kamen wir an dem Obelisk vorbei, also genau zehnmal die Stunde. Selbst wenn wir für die Verkehrsstauungen während der Stoßzeit eine geringere Quote einsetzten, ergaben sich noch immer rund 240 Obelisk-Umkreisungen pro Tag, und das bedeutete pro Woche...
Als das Taxameter auf 17 Francs sprang, öffnete der Fahrer das Handschuhfach und entnahm ihm eine erste Mahlzeit, bestehend aus belegten Broten, kleinen Essiggurken und Obst. In einer hebräisch geführten Lagebesprechung stellten wir fest, daß unsere eigenen Vorräte sich auf zwei Äpfel, eine Orange, eine vertrocknete Semmel und etwas Kaugummi beschränkten. Wenn wir sehr
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