Der seekranke Walfisch. Oder: Ein Israeli auf Reisen.
sparsam damit umgingen, könnten wir vielleicht bis morgen abend durchhalten. Länger nicht.
Plötzlich ging ein Aufleuchten über das sorgenvolle Antlitz meiner Frau:
»Benzin!« brach es jauchzend aus ihr hervor. »Der Kerl wird ja Benzin brauchen! Irgendwann muß er tanken - und wir sind gerettet!«
Ich beugte mich vor, um einen Blick auf den Kontrollanzeiger zu werfen. Der Tank war noch nicht einmal zur Hälfte geleert. Und das Taxameter stand auf 21,50.
Wir beschlossen vorsorglich, mit Einbruch der Dunkelheit immer abwechselnd eine Stunde zu schlafen, sonst würde Jean-Pierre vielleicht heimlich tanken und weiterfahren.
Fünf- oder sechsmal versuchten wir sein Wohlwollen zu erregen, indem wir beim Anblick des Obelisken ein bewunderndes »Oh!« ausstießen. Jean-Pierre reagierte nicht. Sein breiter, mächtiger Rücken blieb reglos, auch bei der schärfsten Linkskurve.
Das Taxameter zeigte 30 Francs. Ich nahm meine Nagelfeile und ritzte in den Plastikbelag der Querleiste folgende Inschrift:
»In diesem Taxi verhungerten im August 1963 Ephraim Ki- shon und Frau.«
Und dann, gerade als wir alle Hoffnung aufgeben wollten, hielt der Wagen an, ich weiß nicht wieso und warum. Vielleicht war Jean-Pierre von Müdigkeit überkommen worden, vielleicht von irgendwelchen menschlichen Regungen, von Gedanken an Weib und Kind - jedenfalls drehte er nach dem Obelisk auf der Place de la Concorde plötzlich nicht mehr links ab, sondern fuhr noch etwa hundert Meter geradeaus und hielt vor dem Hotel St. Paul.
»Quarantequatre«, sagte er.
Er meinte Francs, 44 Francs, mit Trinkgeld 48. Immerhin weniger als 50.
Wir brachten unsere steifgewordenen Gliedmaßen in Ordnung und kletterten aus dem Wagen. Und schon erwachte in meiner Gattin die nörgelnde Weibsnatur. Statt sich der endlichen Rettung zu freuen, ließ sie ihrer Empörung freien Lauf:
»Eine Unverschämtheit! Wenn das ein israelischer Chauffeur gewagt hätte, würde es gleich wieder heißen, daß so etwas nur in Israel möglich ist.«
Jean-Pierre streifte uns mit einem erstaunten Blick und bat den eben herangekommenen Hotelportier, unsere Worte zu übersetzen. Dann fragte er:
»Sie kommen aus Israel?«
Wir bejahten.
»Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Israelis zahlen die Hälfte. Geben Sie mir 25 Francs, und der Fall ist erledigt... «
Der durchschnittliche Franzose kann keine Ausländer leiden, weil er das Gefühl hat, vom ganzen Universum einschließlich Sonne und Mond verraten und verkauft worden zu sein. Er liebt Frankreich und Siamkatzen, ehrt den amtierenden Präsidenten, auf daß er lange lebe auf Erden, verabscheut jedoch die Regierung, den Krieg, den Regen, den Fremdenverkehr, die Franzosen und sich selbst. Nach meiner persönlichen, wissenschaftlich nicht ganz unfundierten Ansicht rührt diese Gemütsverfassung von den allzu steilen Stiegen der Metro her; es könnte aber auch daran liegen, daß die letzte Tour de France von einem Belgier gewonnen wurde. Im übrigen sind nicht die Engländer, wie man allgemein annimmt, die wahren Meister im Distanzhalten, sondern die Franzosen. Sie haben sogar die Namensschilder an den Wohnungstüren abgeschafft, um garantiert unauffindbar zu bleiben.
Dennoch war Jean-Pierres großherzige Geste keiner bloßen Laune entsprungen. Die Israelis werden, seit sie im Suez-Feldzug Schulter an Schulter mit den Franzosen gegen die Amerikaner gekämpft haben, in Frankreich als Bundesgenossen betrachtet, und diese Bundesgenossenschaft trägt manchmal unerwartete Früchte. Ich, zum Beispiel, wurde einmal von einem Franzosen privat eingeladen. Ich. Von einem Franzosen. Privat. In seine Wohnung. In sein Heim. Ausländer, die seit mehr als zwanzig Jahren in Frankreich leben, versicherten mir, daß es in der glorreichen Geschichte des Landes keinen Präzedenzfall für eine solche Einladung gibt. Noch nie hat ein Ausländer die Wohnung eines Franzosen betreten, es sei denn, um die Fenster zu waschen. Und ich möchte ausdrücklich bemerken, daß mein Gastgeber, als er mich einlud, nicht etwa betrunken war, sondern den Eindruck eines ausgeglichenen, im Vollbesitz seiner gesunden Sinne befindlichen Menschen machte. Es handelte sich ganz offenbar um eine einmalige Naturerscheinung.
Allerdings machte ich seine Bekanntschaft beim internationalen Theater-Festival, und das bedeutet einige Minuspunkte. Während der Vorstellung einer israelischen Truppe saß ich neben einem älteren Herrn, der ununterbrochen wissen wollte, was zum Teufel
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