Der seekranke Walfisch. Oder: Ein Israeli auf Reisen.
nicht gar so freundlich gewesen wären. Die alte Dame hatte sich eng an uns angeschlossen, hatte uns von den Schrecken des Blitzkriegs und des Bombardements erzählt, von den ständig wachsenden Lebenskosten in England und von vielen anderen persönlichen Problemen. Jetzt rächte sich unsre Geduld. Nicht als ob wir etwas gegen Hunde gehabt hätten. Wir lieben Hunde. Besonders meine Frau liebt sie sehr. Je weiter so ein Hund entfernt ist, desto mehr liebt sie ihn. Auf Reisen allerdings liebt sie ihn nicht einmal dann. Und folglich war das Gespräch, das nach Mrs. Mrozinskys Abgang zwischen uns stattfand, nicht besonders liebevoll.
»Warum, um Himmels willen, hast du dich breitschlagen lassen?« fragte meine Frau.
»Na wenn schon«, antwortete ich. »Dann werden wir den Hund eben ins Theater mitnehmen.«
Das war alles.
Mit der größten Selbstverständlichkeit hüpfte Oswald in unsern gemieteten Mini-Minor, als wir am Abend ins Ambassador-Theater aufbrachen, wo die »Mausefalle«, immer noch ausverkaufte Häuser machte. Oswald nahm den Rücksitz und heulte. Er hörte nicht auf zu heulen. Er heulte wie ein kleines Kind. Ich habe noch nie einen erwachsenen Hund getroffen, dessen Heulen dem Heulen eines Kindes so ähnlich war. Und so ausdauernd.
Schön und gut, sein Frauchen war zu ihrer Schwester nach Nottingham gefahren. Aber schließlich hatte sie ihn nicht auf der Straße ausgesetzt, wie? Er saß ja in einem weichen Rücksitz eines beinahe neuen, gutgepolsterten, englischen Wagens, nicht wahr? Was gab es da zu heulen?
»Das ist kein Hund«, stellte die beste Ehefrau von allen sachlich fest. »Das ist ein getarnter Schakal. Gott steh uns bei!«
Ich parkte den Wagen in einer nahen Seitengasse (mit Mietwagen hat man keine solche Angst vor Strafzetteln). Das Rückzugsgefecht gegen den stürmisch nachdrängenden Oswald war kurz und heftig. Es endete mit seiner Niederlage. Lange sah er uns nach, die Schnauze ans Fenster gepreßt, die Augen voller Tränen. Und er hörte nicht auf zu heulen...
Der Mörder bewegte sich noch vollkommen frei auf der Bühne, als unser schlechtes Gewissen uns aus dem Theater trieb, zurück zu dem Hund, den wir lebendig begraben hatten. Wir fanden Oswald in schlechter Verfassung. In den zwei Stunden pausenlosen Heulens und Bellens war er heiser geworden und konnte nur noch jaulen.
Dafür sprang er, wie wir schon von weitem sahen, unermüdlich im Innern des Wagens hin und her, von einem Fenster zum ändern, und zwischendurch aufs Lenkrad, wo er die elektrische Hupe betätigte.
Eine Menge Fußgänger stand um den Wagen herum. Eine feindselige Masse. Ihr Urteil war einmütig, und es war ein Urteil der Verdammnis.
»Wenn ich den Kerl erwische...« äußerte ein athletisch gebauter junger Mann, unter dessen bloßem Ruderleibchen die Muskeln schwollen. »Wenn ich den Kerl, der das arme Tier eingesperrt hat, zwischen die Fäuste bekomme...«
»Die haben nicht einmal daran gedacht, das Fenster einen Spalt breit offenzulassen«, murrte ein andrer. »Das arme Tier wird ersticken.«
»Solche Leute müßte man einsperren...«
»Dann würden sie wenigstens wissen, wie das tut...«
Den letzten Worten folgte allgemeine Zustimmung, der auch ich mich anschloß. Der Mann im Ruderleibchen hatte mir nämlich gleich bei meinem Auftauchen einen bösen Blick zugeworfen.
»Diesen Barbaren gebührt nichts Besseres«, sagte ich eilig.
»Mit einem hilflosen Tier so umzugehen...«
Es war höchste Zeit für eine Klarstellung meiner Position, denn Oswald hatte uns entdeckt und bellte hinter dem Fenster direkt auf uns los.
»Es kann nicht mehr lange dauern, Schnauzi«, tröstete ihn ein gebrechlicher alter Herr. »Die Mistkreaturen, die dich hier alleingelassen haben, müssen ja irgendwann zurückkommen.«
»Wenn ich den Kerl erwische!« wiederholte der Ruderleibchenathlet. »Der wird nichts zu lachen haben!«
Es machte keinen guten Eindruck auf mich, daß dem Athleten einige obere Zähne fehlten. Ich hielt es für angebracht, seinen Tatendurst abzulenken.
»Lassen Sie auch noch etwas für mich übrig!« rief ich mit geballten Fäusten. »Ich breche ihm jeden Knochen im Leib.«
»Recht so!« Und das war meine Frau. »Jeden einzelnen Knochen!«
Was zum Teufel fiel ihr da ein? Wollte sie den Mob gegen mich aufhetzen? Oder Ruderleibchens athletische Fähigkeiten auf die Probe stellen?
Die Atmosphäre roch deutlich nach Lynchjustiz. Wenn diese Fanatiker jetzt noch draufkämen, daß es ein verdammter
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