Der seekranke Walfisch. Oder: Ein Israeli auf Reisen.
schwarze Melonen getragen haben...
Auch im Londoner Straßenverkehr tritt der Humor in seine Rechte. Zum Beispiel wird in England nicht - wie überall sonst in der Welt - rechts gefahren, sondern links. An dieser ungewöhnlichen Verkehrsordnung halten die Engländer mit der gleichen traditionsgebundenen Hartnäckigkeit fest wie an ihren (auch nicht mehr ganz zeitgemäßen) Gewichts- und Münzeinheiten.
Ferner gibt es in jeder Stadt mindestens fünfundzwanzig Straßen mit demselben Namen. Ein Blick auf den Straßenplan läßt erkennen, daß die gleichlautenden Namen nach den Ereignissen eines Würfelspiels über das Straßennetz verteilt wurden, wohin sie gerade fielen.
Häuser werden in England nicht mit abwechselnd geraden und ungeraden Ziffern numeriert. Man verwendet das Bumerang-System. Man beginnt auf der einen Straßenseite mit der fortlaufenden Numerierung der Häuser, und wenn es keine Häuser mehr gibt, läßt man die Nummern wieder zurücklaufen, so lange, bis sie auf einen Ausländer treffen und ihn niederstrecken. Witzbolde behaupten, daß manche Straßen in London anfangen und in Liverpool aufhören.
Die Frage liegt nahe, wie sich die Engländer unter solchen Umständen in ihren eigenen Städten zurechtfinden.
Die Antwort lautet: Sie finden sich nicht zurecht. Sie selbst kommen aus dem Staunen nicht heraus, halten sich aber auf dieses Staunen soviel zugute, daß sie es um keinen Preis missen möchten. Auch scheint es für sie von unerhörtem Reiz zu sein, einander zu erklären, wo sie wohnen und wie man zu ihrer Wohnung gelangt.
»Die Straße heißt St. John's Wood Court Road. Aber das Haus, in dem wir wohnen, heißt St. John's Wood Court House und liegt ganz anderswo, nämlich knapp vor der Kreuzung von St. John's Court Street und St. John's Road Wood. Können Sie mir folgen?«
»Nein.«
»Wissen Sie, wo Tottenham Court Road liegt?«
»Ja.«
»Ausgezeichnet. Dort nehmen Sie ein Taxi und geben dem Fahrer die Adresse.«
Glücklicherweise wohnten wir nicht im Zentrum Londons, sondern in einem »Swiss Cottage« genannten Stadtteil, dessen gleichnamige Untergrundbahnstation uns als sicheres Erkennungszeichen diente. Wir waren endlich dem Würgegriff der Hoteliers entgangen und hatten uns in einer Privatwohnung eingemietet. Ihre Inhaberin hieß Mrs. Mrozinsky und war, wie schon aus ihrem Namen hervorging, die einzige Witwe des verewigten Mr. Mrozinsky, eines typisch englischen Gentlemans von polnischem Geblüt. Er hatte ihr ein kleines Häuschen hinterlassen, dessen entbehrliche Zimmer an farbige Touristen zu vermieten waren (und da wir aus Israel kamen, wurden wir vom Zimmervermittlungsdienst in diese Kategorie eingestuft). Der Rest der Verlassenschaft bestand in einem hellhaarigen Hund namens Oswald, einer undefinierbaren Promenadenmischung, die aber von Mrs. Mrozinsky kaltblütig als hochgezüchteter Spaniel vorgestellt wurde. Sei dem wie immer - Mrs. Mrozinsky, die seit dem Beginn des zweiten Weltkriegs in England lebte, hatte sich dort schon so vollkommen akklimatisiert, daß sie auch die traditionelle Zuneigung des Engländers zu seinen vierbeinigen Freunden teilte. Sie sprach von Oswald viel öfter und liebevoller als von ihrem dahingeschiedenen Gatten, und sie hätte das geliebte Tier nicht eine Minute lang allein lassen mögen.
Einmal aber geschah das doch.
An jenem schicksalsschweren Nachmittag klopfte Mistreß Mrozinsky an unsre Zimmertüre und teilte uns mit, daß ihre Schwester plötzlich erkrankt sei, in Nottingham in Spital läge und dringend ihren Besuch erwarte, heute noch, sofort.
Uns ahnte Böses.
»Sollten Sie nicht besser erst morgen fahren, Mrs. Mrozinsky?« fragte ich besorgt. »Nächtliche Reisen sind unbequem.«
»Ich dachte, daß Sie mir den kleinen Gefallen tun...«
»Man wird Sie bei Nacht gar nicht in das Spital hineinlassen... «
»... und auf Oswald achtgeben könnten...« »... weil der Patient schlafen muß...«
»... nur bis morgen mittag...«
»Warum telefonieren Sie nicht nach Nottingham?«
»Ich danke Ihnen.«
Und ohne den einigermaßen wirren Dialog fortzusetzen, brachte sie uns den fröhlich wedelnden Oswald ins Zimmer.
»Sie brauchen ihn nicht öfter als einmal am Tag auf die Gasse zu führen«, rief sie uns im Abgehen zu. »Lassen Sie ihn ruhig an der Türe kratzen.«
»In England darf man Hunde in den Zug mitnehmen«, rief ich ihr nach. Aber die Wände blieben stumm.
Das alles wäre nie geschehen, wenn unsere Beziehungen zu Mrs. Mrozinsky
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