Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
etwas zu sich zu nehmen, der nächsten Sache, die er tun konnte, denn er war wirklich alles, was sie hatte, obwohl er nicht glaubte, dass es ein Irrtum gewesen war, obwohl er, verschlossen in seinem Inneren, die Gewissheit hatte, dieses Wissen.
Sechsundsechzig
R ichard Serrailler sah den letzten Autos nach, die durch das Tor fuhren. Es war immer noch heiß, die Luft schwer.
»Dad.« Cat trat zu ihm und nahm seinen Arm. »Komm mit mir, während ich das Pony füttere.«
»Nein. Ich möchte gern nach Hause.«
»Du kannst nicht allein nach Hause fahren. Nicht heute Abend. Bleib hier. Morgen früh wirst du dich besser fühlen.«
»Warum sollte ich?«
Cat seufzte. Warum musste er immer, immer so sein, immer auf Konfrontation ausgerichtet, immer die Frage nach der genauen, der rationalen Erklärung hinter einer vagen Bemerkung? Er hatte nie Smalltalk gemacht, war nie in der Lage gewesen, sich unbekümmert in eine Unterhaltung zu mischen oder Freundschaft anzunehmen. Sie fragte sich, wie ihre Mutter vierzig Jahre Ehe ausgehalten hatte mit jemand so … Dickschädeligem, würde Simon sagen.
»Mir gefällt der Gedanke nicht, dass du heute Abend ganz allein nach Hallam House zurückkehrst.«
»Ich war dort jede Nacht allein, seit deine Mutter gestorben ist. Ich sehe da keinen Unterschied.«
»Na gut. Du musst es wissen.«
Er lächelte ein wenig. »Danke, dass du den Leichenschmaus vorbereitet hast. Ich habe nie verstanden, warum der gereicht wird, aber du hast es bewundernswert über die Bühne gebracht.« Er schaute zum Tor, als erwartete er, dass ein Auto hereinfahren würde. »Viele Leute sind gekommen«, sagte er. »Einige aus Neugier, nehme ich an. Es gibt professionelle Beerdigungsbesucher.«
»Nein, Dad. Es waren Menschen, die sie kannten und respektierten und mochten und bewunderten. Menschen, die sich von ihr verabschieden wollten. Ihre Gefühle waren echt. Warum musst du immer so zynisch sein?«
Sie wandte sich ab, würgte an ihren Tränen. Der Trauergottesdienst, zelebriert vom Dean, mit Jane Fitzroys Assistenz, und gestaltet von dem Kathedralenchor, hatte sie überwältigt. Die Musik, die Worte, die Anwesenheit so vieler Menschen, die mit Meriel zusammengearbeitet hatten, früher im Krankenhaus oder nach ihrer Pensionierung bei Wohltätigkeitsprojekten, die bleichen, ehrfürchtigen Gesichter von Sam und Hannah.
Simon hatte geweint, und Sam, der neben ihm stand, hatte nach der Hand seines Onkels gegriffen.
Und während all dem, während Richards eigener Bibellesung, während der Bestattung danach auf dem Friedhof, während der Begrüßung der vielen, die mit zum Bauernhaus gekommen waren, war ihr Vater schweigsam, aufgerichtet und dünnlippig geblieben. Unergründlich.
Cat wollte mit den Fäusten auf ihn einschlagen, ihn anbrüllen, ihn fragen, ob er Meriel geliebt hatte, ob er verstört war, ob er sie vermisste, ob ihn die Zukunft ängstigte, aber sie konnte nichts in Worte fassen.
»Komm einfach mit, während ich mich um die Tiere kümmere.«
Er zuckte leicht die Schultern, drehte sich schließlich aber doch um und ging mit ihr zum Koppeltor.
»Die Kinder haben sich gut benommen.«
»Natürlich haben sie das. Sie wissen, was sich gehört. Außerdem hat sie die ganze Sache überwältigt.«
Sie entriegelte die Futterkammer. Irgendwie musste sie ihm von Australien erzählen. Aber heute bedeutete Australien Ivo, der nicht zur Beerdigung herübergeflogen war. Cat konnte sich kaum überwinden, daran zu denken. Sie konnte sich nicht vorstellen, darüber zu reden, dass sie in dasselbe Land gehen wollten wie ihr Bruder. Richard hatte Ivos Abwesenheit schulterzuckend und mit kaum einem Wort abgetan. Simon hatte gewütet und geschimpft. Cat wusste, dass Ivos Abwesenheit nichts mit Meriel zu tun hatte. Es hatte damit zu tun, sich von seiner Familie zu distanzieren, räumlich seit Anfang zwanzig, aber in jedem anderen Sinne seit frühester Jugend, aus komplexen eigenen Gründen und wegen der Streitigkeiten, die er ständig angezettelt hatte.
Meriel war diejenige gewesen, die mit ihm Verbindung gehalten hatte, durch Briefe, Anrufe, später E-Mails und mehrere Besuche bei ihm, allein. Cat und Chris waren zweimal dort gewesen, Simon einmal.
Auch Simon wusste noch nichts von Australien.
Besorgt schöpfte sie Pferdefutter in einen Eimer. Wie konnte sie ihnen beiden ausgerechnet heute erzählen, dass sie Lafferton für ein halbes Jahr verlassen würden? Aber wenn nicht heute, wann dann? Es würde nie den
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