Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
bestätigt.
Nach Verlassen des Hubschraubers hatte Serrailler sie kaum mehr zu Gesicht bekommen. Aber er wollte es. Er wollte sie verhören, wollte die Wahrheit über David Angus aus ihr herauspressen. Doch natürlich war ihm nicht erlaubt, mit ihr zu sprechen. Denn das hier war weder sein Bezirk noch sein Fall. Er konnte nur einen formellen Antrag stellen, sie zu einem späteren Zeitpunkt verhören zu dürfen, wenn die Yorkshire-Fälle in Gang gekommen waren.
»Mir wäre es lieber, Sie blieben noch eine Nacht«, sagte Jim Chapman. Sie aßen Specksandwiches, die ihnen von einem eifrigen Constable heraufgebracht worden waren. Die gesamte Kripo war aus dem Häuschen, verblüfft über die Geschehnisse, aufgeregt über die Verhaftung einer Frau.
Simon schüttelte den Kopf, nuschelte mit vollem Mund. »Mir geht’s gut. Hat man mir im Krankenhaus bestätigt.«
»Gut genug, um dreihundert Kilometer zu fahren?«
»Ja.«
»Schon toll, nicht wahr?«
Sie blickten sich verständnisinnig an.
»Unschlagbar«, sagte Serrailler, »selbst auf einem Vorsprung in halber Höhe einer Felswand im Sturm. Aber ich muss zurück. Ich will mir die Angus-Akten noch mal vornehmen.«
»Sie war es.« Jim Chapman aß einen großen Bissen. Das ganze Büro roch würzig.
»Ich weiß. Nur muss es bewiesen werden. Sie wird nicht mitspielen.«
Chapman wischte sich den Mund ab und trank einen Schluck Tee. »Die Seelenklempner werden ausflippen.«
»Ich krieg es einfach nicht in meinen Kopf. Es läuft allem zuwider, was wir wissen.«
»Nicht ganz. Erinnern Sie sich an Rose West. Denken Sie an Myra Hindley.«
»Hindley war nicht allein, sie wurde von Ian Brady mit reingezogen. Gut, sie war manipulierbar, aber hätte sie es auch allein getan? Das bezweifle ich. Dasselbe gilt für West.«
»Was bringt diese Menschen dazu? Großer Gott. Auf dem Rückweg musste ich dauernd an meinen Enkel denken … sah sein Gesicht vor mir. Es ist nicht zu glauben. Was für eine Frau ist das, Simon?«
Als Simon kurz nach Mitternacht nach Hause kam, blinkte das Licht an seinem Anrufbeantworter. Eine Nachricht war von der Reinigung, dass sein Anzug fertig war – die anderen drei Anrufer hatten nichts hinterlassen.
Er stand in der Dunkelheit seines langgestreckten, kühlen Wohnzimmers. Hinter dem Fenster waren ein schmaler, zunehmender Mond und der Abendstern zu sehen, erinnerten ihn an den genialen Samuel Palmer, den Künstler, den er am meisten bewunderte.
Dann dachte er an Diana Mason. Sie hatte ihn im vergangenen Jahr mit stummen Anrufen verfolgt, doch er hatte sie seit Monaten weder gesehen noch mit ihr gesprochen. Höchstwahrscheinlich hatte sie einen neuen Mann und ein anderes Leben, und er war aus ihrer Erinnerung gelöscht worden. Hoffte Simon zumindest.
Er ging erschöpft zu Bett, doch das Geräusch des gegen die Felsen brandenden Meeres und das Zischen seiner Reifen auf der Autobahn drangen in seinen Schlaf, Visionen von Edwina Sleightholmes dünnem, verschlossenem Gesicht und den trotzigen Augen, von dem gelben Rettungshubschrauber, der auf sie zuschwenkte und wieder weg, zuschwenkte und wieder weg, trudelten Übelkeit erregend durch seine Träume.
Bis fünf Uhr hörte er die Kathedralenuhr jede volle Stunde schlagen, dann sank er für gute drei Stunden in einen schweren Schlaf.
»Chef … wir haben es schon gehört.«
DS Nathan Coates wartete auf ihn.
»Die Angus-Akte liegt auf Ihrem Schreibtisch. Ich dachte …«
»Darauf hätte ich gewettet. Holen Sie uns Kaffee von drüben, und bringen Sie mir auch ein Brötchen mit Speck und Ei mit.«
Er trat an seinen Schreibtisch, auf dem sich Akten häuften. Nathan machte widerstrebend kehrt und ging in das nahegelegene griechisch-zyprische Café, welches das Leben der Kripo von Lafferton völlig verändert und sich den ewigen Zorn der Revierkantine zugezogen hatte.
Serrailler blätterte die Unterlagen durch, schaltete seinen Computer an und hatte, bis Nathan zurückkam, schon zwei Dutzend E-Mails durchgeschaut. Er hob den Deckel seines Espressos und atmete den würzigen, frischen Kaffeeduft ein. Bei der Angus-Akte hatte er sich rasch auf den neusten Stand gebracht. Nathan wartete, schien vor unterdrückten Fragen und Enthusiasmus fast zu platzen. Serrailler blickte zu ihm auf.
»Ich nehme an, hier brummt alles vor Gerüchten und Spekulationen.«
»Ja, allerdings. Bloß, bevor wir uns damit befassen, wär da noch was andres, Chef.« Nathan errötete.
»Ja?«
Simon befürchtete, sein
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