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Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)

Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)

Titel: Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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Kessels hielt. Ihre Augen. Lizzie.
    Er wusste, dass sie nicht Lizzie war, aber er war zu erschöpft, um mit der Verwirrung fertig zu werden, die ihn hin und her schwanken ließ, Lizzie, nicht Lizzie, Lizzie lebendig, Lizzie tot. Lizzie/Jane, Jane/Lizzie.
    Alle paar Augenblicke sah er sich um und fragte sich, warum er in diesem unvertrauten Haus war, die Räume kleiner als diejenigen, die er kannte, dunkler, mit mehr Gegenständen, Büchern, Möbeln und seltsamen Bildern. Dann fiel es ihm ein. Sein Kopf wurde klar, und es fühlte sich an, als sei er durch eiskaltes Wasser gezogen worden, und der Zweck seines Hierseins war glasklar und offensichtlich.
    Aber er war so müde, dass er sich auf den Boden legen und schlafen wollte. Für immer schlafen. Es gab keine andere Möglichkeit, mit Lizzie zusammen zu sein. Dann sah er sie, wie er sie zum letzten Mal gesehen hatte, ihre Augen aufgerissen und blicklos, ihr Ausdruck unergründlich; sie entschwand, während er in eine andere, dunkle, leere, schweigende Welt hinabschaute.
    Bei Ninas Tod war er nicht dabei gewesen. Sie hatte im Krankenhaus gelegen, verborgen unter Masken und Schläuchen, an Maschinen angeschlossen, gelb und dünn und hässlich, hundert Jahre alt, die Schmerzen hatten das Leben und Aussehen aus ihr herausgesogen. Er hatte geschlafen, unfähig, neben dem Bett zu bleiben, voller Angst vor dem Moment ihres Todes. Als er wieder zu ihr kam, war sie jemand anderes geworden, wächsern und still, in einer Kapelle, die seltsam roch, nach ekligen künstlichen Blumen, um den antiseptischen Krankenhaustod zu überdecken.
    Er hatte nicht erwartet, eine weitere Ehefrau sterben zu sehen, eine Frau, die ihm wie ein Wunder erschienen und gierig, verzweifelt geliebt worden war.
    Er blickte hoch. Auf dem Tisch stand eine Teekanne, daneben ein Teller mit Sandwiches.
    In ihm brodelten Wut und Hass, die ihn beängstigten, Gefühle von solcher Stärke, wie er sie nie gekannt hatte. Sie waren rein, unverfälscht von allem anderen bis auf das Bedürfnis nach Vergeltung.
    Sie wischte ihre Hände an einem Handtuch ab. Ihr rotes Haar stand wie ein Heiligenschein um ihr Gesicht, ihr Talar hatte diesen lächerlichen weißen Kragen, ein Symbol für alles, das er zerstören musste. Er glaubte nichts von dem, an das sie glaubte, und doch hatte es eine bedrohliche Macht.
    »Wen haben Sie?«, fragte er. Beim Klang seiner Stimme zuckte sie zusammen.
    Er freute sich, dass er sie verängstigt hatte.
    »Sie haben eine Mutter … wen noch? Bruder, Schwester, Geliebten?«
    »Ich bin ein Einzelkind. Mein Vater ist vor zehn Jahren gestorben.«
    »Und hat er gelitten?«
    »Ich … ich bin mir nicht sicher. Er hatte einen Schlaganfall … Warum?«
    »Ich will, dass Sie es gespürt haben. Warum sollten Sie nicht?«
    »Wie kommen Sie darauf, dass ich es nicht gespürt habe? Es gibt tagtäglich Menschen, die wie Lizzie leiden, Menschen, die zurückbleiben und wie Sie empfinden.«
    Max stand auf und trat zu ihr. Er sah ihre weiche Haut und das rote Haar, ihren schlanken Hals unter dem weißen Kragen, und hob die Hände. Hoch.
    Sie sagte: »Ich weiß, was Sie mit mir machen wollen. Aber würde Lizzie wollen, dass ich sterbe?«
    »Reden Sie nicht von Lizzie.«
    »Warum nicht? Hier geht es doch nur um sie. Ich kann nicht glauben, dass es sie glücklich machen würde, wenn Sie mich töten, weil sie gestorben ist.« Sie bewegte sich. »Lassen Sie mich vorbei.«
    Er zögerte. Er wollte sie jetzt aus einem anderen Grund als Hass töten, er wollte wissen, wie sich das anfühlen würde. Wie es sich anfühlen würde, die Hände um ihre Kehle zu schließen. Er war schon immer rasch in Zorn geraten, hatte die Menschen mit seinen plötzlichen, heftigen Wutanfällen verängstigt – Nina war immer aus dem Haus geflohen. Nur Lizzie war es gleich gewesen. Lizzie hatte einfach gelacht. Doch er war nie wütend auf sie gewesen, nur auf die Dinge um sie herum, Dinge, die mit ihm selbst zu tun hatten. Und ihr Lachen hatte genügt.
    Er ließ Jane Fitzroy vorbei. Er berührte sie nicht. Sie setzte sich an den Küchentisch. Sie sieht klein und sehr jung aus, dachte er. Ein Kind. Nur ein Kind würde so naiv sein. Was konnte sie denn schon wissen?
    »Ich hätte gern eine Tasse Tee«, sagte er.
    Sie griff nach der Kanne. »Und dann nach Hause?«
    »Nein.«
    Sie begann zu weinen.

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