Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
Wohnblock zu ersetzen, ist aber pleitegegangen. Inzwischen sind die Bestimmungen verschärft worden, wie Sie wissen, und man ist jetzt eher der Ansicht, dass nicht so viel abgerissen und neu gebaut werden soll. Der Stadtrat will, dass das ganze Gelände instand gesetzt wird, zum Teil für Wohnungen, zum Teil für kleine Werkstätten.«
Lynsey setzte sich an den Küchentisch. »Sie haben mein Interesse geweckt.«
»Dachte ich mir. Morgen wird es ausgeschrieben. Sie haben vierundzwanzig Stunden, die Sache auszubaldowern und sich zu entscheiden.«
»Das ist nicht viel Zeit.«
»Ich sollte Ihnen nicht mal die geben. Wenn jemand davon erfährt, sitzen wir beide in der Scheiße.«
»Von welchem Schätzwert können wir ausgehen?«
»Es kommt mit einem Richtpreis von neunzig zur Auktion, als Lockangebot, sollte aber mindestens hundertdreißig bringen, vielleicht auch eine ganze Menge mehr.«
»Und wenn ich interessiert wäre, könnte ich mit einem Vorkaufsangebot von was einsteigen?«
»Ich habe Ihnen die Zahlen genannt, Lyns. Jetzt liegt’s an Ihnen. Muss Schluss machen.«
Vierzig Minuten später parkte Lynsey ihr Auto in einer der Seitenstraßen, die zum Kanal führten. Sie hatte einen Stadtplan von Lafferton auf dem Beifahrersitz liegen und wusste in etwa, wo sie hinwollte, aber nicht, wie zugänglich das Gelände war und ob sie hier überhaupt sein durfte.
Während der Fahrt hatte sie sich Zahlen durch den Kopf gehen lassen. Ob sie nun ein Vorkaufsangebot einreichte oder riskierte, an der Auktion teilzunehmen, sie würde jedenfalls eine Menge Geld auftreiben müssen. Es wäre das größte Projekt, das sie je in Angriff genommen hatte, aber Mel wusste, dass sie seit über einem Jahr nach so etwas gesucht hatte. Eines der letzten verbliebenen Gebäude einfühlsam zu renovieren, ihm seinen früheren Glanz zurückzugeben und es trotzdem für die heutige Welt nutzbar zu machen, war ein Traum, den sie sich erhalten hatte. Alles, was sie an Renovierungen bisher durchgeführt hatte, war relativ unspektakulär gewesen. Sie hatte keinen Zweifel an ihren Fähigkeiten, wusste, auf wen sie sich verlassen konnte, vertraute ihrem Geschmack und Blick fürs Detail, ihrem Gefühl für die Epoche. Sie war davon überzeugt, sie würde das zu einem großen Erfolg machen. Ob es ihr aber gelang – ob sie es wagte –, so viel Geld aufzutreiben, war eine andere Frage.
Sie stieg aus, faltete den Stadtplan zusammen und steckte ihn in die Tasche. Die Straße war still und schattig. Laut Wettervorhersage würde es ein weiterer heißer Tag werden. Sie sah den Treidelpfad und das Flimmern des Kanals.
»Lizzie! O Gott, Lizzie, bitte …«
Sie blieb stehen.
»Lizzie, warte.«
Er war ein paar Meter von ihr entfernt, neben dem Eingang zur alten Bortenfabrik. Er wirkte noch verwahrloster und wilder, als sie ihn in Erinnerung hatte.
Lynsey griff vorsichtshalber nach ihrem Handy in der Tasche.
»Warte.« Er kam auf sie zu.
»Ich bin nicht Lizzie«, sagte sie nachdrücklich. »Wer immer Lizzie ist, ich bin es nicht. Sie haben mich schon mal mit ihr verwechselt. Tut mir leid. Ich muss jetzt gehen, ich treffe mich mit jemandem und bin schon spät dran.«
»Warum tun Sie mir das an?« Er streckte die Hand aus. Lynsey wich zurück. »Warum kommen Sie hierher? In diese Straße?«
»Wie ich Ihnen sagte. Ich habe eine Verabredung.«
»Sie machen das absichtlich. Weil Sie ihr ähnlich sehen.«
»Ich kenne Sie nicht. Wenn Sie mich jetzt nicht in Ruhe lassen und mich gehen lassen, ohne mir zu folgen oder mir noch mal nachzurufen, muss ich die Polizei holen.«
»Von hinten könnten Sie Lizzie sein. Ganz genau. Nicht, wenn Sie sich umdrehen, nicht, wenn Sie sprechen, aber von hinten sind Sie Lizzie.«
»Nein«, sagte Lynsey sanft, »ich bin nicht Lizzie. Und das wissen Sie.«
Sie begann sich davonzustehlen, wandte ihm nicht vollkommen den Rücken zu, behielt die Hand in der Tasche, um das Handy gelegt. Sie wünschte, jemand würde aus einem der Häuser kommen, aber niemand tauchte auf. Sie überlegte, wie lange es dauern würde, wegzurennen, wie lange, bis die Polizei eintraf, ob er ihr zum Kanal folgen würde. Vielleicht wäre es besser, umzukehren. Jede Minute könnte jemand die Straße entlangfahren, doch sobald sie bei den alten Gebäuden war, könnte, falls er ihr nachkam, alles Mögliche passieren.
Aber er folgte ihr nicht. Am Ende der Straße warf sie einen Blick zurück. Er stand da, starrte ihr nach, mit einem unergründlichen
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