Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
lauter, als sie es je für möglich gehalten hatte.
Siebenunddreißig
W enn es schlimm war, blieben einem nur die Gedanken als Hilfe. Gedanken konnten einen überall hinführen.
Es war heiß. Ihre Kleidung klebte am Körper, und ihr Hals und das Haar fühlten sich ständig verschwitzt an. Die Hitze ließ alle überkochen. Sie hörte den Lärm, das Brüllen, Fluchen, Hämmern, Schreien, ohne Unterlass bis in die Nacht. Es war wie ein Deckel auf einem kochenden Topf. Sehen konnte sie nichts davon. Sie hielten sie von den anderen getrennt, selbst beim Hofgang, doch wenn sie hinausgeführt wurde, wussten es die anderen und fingen mit dem Hämmern an. Das war nicht nett. Es ängstigte sie.
Sie aß ihr Essen allein, las, sah fern, wurde hinausgeführt, kam zurück, ging durch die Flure zu den Sitzungen mit der Psychologin, kam zurück, und die Hitze war überall gleich, man roch sie und atmete sie.
Aber wenn sie angestrengt genug nachdachte, konnte sie dem allen entfliehen, für eine Weile.
Das Meer. Fahren auf der Autobahn. Ihr Garten. Kyra. Das waren die besten Gedanken. Wenn es jedoch schlimm wurde, gab es immer noch den anderen Ort. Sie gestand sich nicht ein, dass sie manchmal dorthin ging. Das hielt sie von sich fern. Aber sie ging hin. Für gewöhnlich bei Nacht, wenn das Hämmern anfing und direkt in ihren Kopf zu dringen schien, als schlüge jemand Nägel ein. Es war eine heimliche, verstohlene Reise, und sie brauchte lange dafür. Doch so war es immer gewesen. Sobald sie dort war, machte sie die Tür hinter sich zu und schloss sie ab. Dann wusste sie nicht, dass sie dort war.
Aber sie waren dort, manchmal alle zusammen, manchmal einer für sich. Sie ging alles wieder durch, Schritt für Schritt, von dem Moment an, als sie sie zum ersten Mal gesehen hatte. Damals war alles in großer Hast geschehen; jetzt gab es das nicht. Sie hatte alles aufgezeichnet, ihr Gedächtnis war eine Kamera. Sie sah alles. Sie hörte alles. Sie hatte Fotos von ihren Gesichtern, in Großaufnahme. Sie hatte Aufzeichnungen ihrer Stimmen. Jedes Wort, das sie gesagt hatten. Der Junge im Blazer. Der Junge mit der Sporttasche. Das Mädchen auf dem Fahrrad. Das Mädchen mit der Einkaufstüte. Der Junge mit dem Roller. Die mit dem Eis. Jedes Gesicht. Jedes Wort. Jede Einzelheit. Jeder Kilometer auf jeder Fahrt, jeder Zwischenstopp. Jedes kleinste bisschen. Manchmal blieb sie nur kurz, machte eine Stippvisite und kam schnell wieder raus, verschloss die Tür erneut und hatte keine Ahnung, dass sie weg gewesen war, ganz zu schweigen davon, wo. Zu anderen Zeiten, wenn sie sich sicher fühlte oder wenn es am schlimmsten war, blieb sie sehr lange dort.
Aber die Psychologin fand es nie heraus. Manchmal fragte sie, doch Ed erzählte es ihr nicht.
Das Gefängnis war wie ein Ofen. Das Hämmern ging weiter. Wenn das Essen kam und heiß war, musste sie es abkühlen lassen, bevor sie es essen konnte. Das Gleiche galt für Kaffee und Tee. Eis kam, aber es war eine eklige gelbe Pfütze. Salat kam, und die Salatblätter waren welk und die Tomaten lauwarm.
Einmal warf sie das Essen an die Wand. Sie nahmen ihr den Fernseher weg.
Aber das machte ihr kaum etwas aus. Sie konnte nachdenken. Sie hatte immer ihre eigenen Gedanken und Bilder gehabt. Besser als die von denen. Viel, viel besser.
Achtunddreißig
G ut.« Dougie Meelup erhob sich und schob seinen Stuhl vom Tisch. »Ich mach mal die Türen auf. Wofür hat man denn einen Garten?«
Eileen beobachtete ihn.
»Ich stelle den Liegestuhl raus, hol du dein Buch.«
»Nein, ich bleib lieber hier.«
»Eileen, da draußen scheint herrlich die Sonne, ich habe den Schirm aufgespannt, du kannst im Schatten sitzen.«
»Ich kann nicht draußen sitzen.«
»Niemand wird dich sehen. Die Nachbarn sind nicht da.«
»Ich kann nicht.«
»Und keiner weiß etwas.«
»Natürlich wissen sie es. Sie kennen meinen anderen Namen, und der lautet nicht Smith, sie haben alle ferngesehen, die Zeitungen gelesen. Sie wissen, dass ich zwei Töchter habe.«
»Und wenn schon? Wer auch immer ›sie‹ sein mögen? Und wenn sie es wissen?«
»Ich werfe dir nicht vor, dass du die Geduld mit mir verlierst.«
»Tu ich nicht. Ich möchte nur, dass du deinen Kopf mal wieder hoch trägst. Du kannst ihn nicht für immer hängen lassen, Eileen.«
»Meinen Kopf hoch tragen? Oh, das kann ich sehr wohl. Das kann ich tun, wenn ich weiß, dass es eine Verwechslung ist und sie die falsche Person angeklagt haben und selbst verklagt werden
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