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Der Seele weißes Blut

Der Seele weißes Blut

Titel: Der Seele weißes Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Klewe
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wir nicht wissen, wer sie ist, können wir auch nicht herausfinden, wem ihre Nase nicht gepasst hat.«
    Salomon starrte sie an.
    »Was ist?«, stieß sie ärgerlich hervor.
    »Reichlich pietätlos, wie du daherredest, Louis«, antwortete er leise. »Vor allem, wenn man bedenkt, auf welche Art sie ermordet wurde.«
    »Von deiner Pietät wird sie auch nicht wieder lebendig. Und ihren Mörder kriegen wir damit ebenso wenig. Wenn es dir nicht passt, wie ich rede, hast du Pech gehabt. Ich kann leider keine Rücksicht auf irgendwelche Empfindlichkeiten nehmen, das ist eine Mordermittlung und kein Kindergartenausflug.« Aufgebracht zog sie die Akte mit dem vorläufigen Autopsiebericht aus dem Stapel und begann, ziellos darin herumzublättern.
    Salomon sprang auf, stürzte aus dem Raum und knallte die Tür hinter sich zu.
    »Verfluchter Mist!«, murmelte Lydia. Sie versuchte, sich auf den Text zu konzentrieren, den sie aufgeschlagen hatte. Doch es gelang ihr nicht. Nach wenigen Minuten erhob sie sich und trat den Stuhl nach hinten weg, sodass er mit voller Wucht gegen den Aktenschrank knallte. Mit verschränkten Armen stellte sie sich ans Fenster und blickte hinaus. Die Septembersonne tauchte den hässlichen Jürgensplatz in gnädiges goldenes Licht. Die geparkten Wagen unter ihr schimmerten, als seien sie alle frisch gewaschen. Auf dem Bürgersteig pickten zwei Spatzen an einem Brötchen. Der Anblick stimmte sie nicht milder, im Gegenteil, es war, als wolle die Welt unter ihrem Fenster sie verhöhnen.
    Sie lehnte ihre Stirn an die kühle Scheibe, schloss die Augen und atmete langsam ein und aus. Sie musste sich in den Griff kriegen. Sie musste diese Wut im Zaum halten. Eine Entgleisung wie eben durfte es nicht noch einmal geben. Der Kerl ging ihr auf die Nerven. Sie konnte dieses Marlboro-Gesicht nicht ausstehen. Als würde er gleich auf sein Pferd steigen, das Lasso schwingen und in den Sonnenuntergang reiten. Und dieses mitfühlende Gehabe war reines Theater. Niemand in diesem Job redete ständig pietätvoll von den Toten. Das bedeutete nicht, dass man kaltschnäuzig war, es war eine Art, mit all dem Grässlichen fertig zu werden, das man täglich zu sehen bekam. Warum spielte dieser Typ sich also dermaßen auf? Bestimmt war er zur Polizei gegangen, weil er an das Gute glaubte. Die Welt ein bisschen besser machen wollte. So ein Arschloch. Aber all das war keine Entschuldigung für ihren Ausbruch. Sie war zu weit gegangen. In einer Mordkommission mussten alle an einem Strang ziehen. Und sie als Leiterin musste sich doppelt anstrengen, ihre Aufgabe war es, das Team zusammenzuhalten und zu Höchstleistungen anzuspornen. Stattdessen hatte sie sich gehen lassen. Das war kindisch und unprofessionell.
    Seufzend wandte sie sich vom Fenster ab. In einer halben Stunde war Besprechung. Vorher musste sie die Sache klären, auch wenn es ihr noch so schwerfiel.
    Sie fand Salomon in der Kantine. Er hockte über einem Kaffeebecher und studierte seine Finger. Als sie sich ihm gegenüber auf einen Stuhl fallen ließ, zuckte er erschrocken zusammen.
    »Tut mir leid, Salomon. Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist. Das war ziemlich blöd.«
    »Absolut idiotisch.«
    »Unter aller Sau.«
    Er blickte auf, ein kaum wahrnehmbares Lächeln auf den Lippen. »Entschuldigung angenommen. Und ich gebe zu, dass ich ein wenig übersensibel reagiert habe. Das passiert mir manchmal.«
    »Burgfrieden?«
    Er nickte. »Und nun?«
    »Blutsbrüderschaft wollte ich nicht schließen.«
    »Ich meine den Fall.«
    Sie sah auf die Uhr. »Gleich ist Besprechung. Mal sehen, wie es bei den anderen läuft. Heute war die Meldung über die unbekannte Tote in den Zeitungen. Das Lokalradio hat auch was gebracht. Gewöhnlich gibt es jede Menge Hinweise aus der Bevölkerung. Und manchmal sind sogar brauchbare darunter. Mit ein bisschen Glück vermisst ja doch jemand unser Opfer.«
    »Oder irgendwer hat etwas gesehen«, ergänzte Chris. »Bisher sind alle Zeugenaussagen ins Leere gelaufen. Das ist ein Stadtwald, keine einsame Steppe. Da muss doch jemand etwas beobachtet haben.«
    Lydia nickte. »Und die Zeit drängt. Mit jeder Stunde, die vergeht, werden die Spuren kälter.« Sie musterte die Tischplatte. Bisher waren sie nicht sehr weit gekommen. Die Autopsie hatte nichts Überraschendes ergeben. Die Frau war tatsächlich durch die Steinwürfe zu Tode gekommen. Im Sektionsprotokoll stand Schädel-Hirn-Trauma. Vermutlich war ihr Tod durch das Einatmen von Blut aufgrund

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