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Der Seele weißes Blut

Der Seele weißes Blut

Titel: Der Seele weißes Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Klewe
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ihr, aufrecht stehen zu bleiben. Scheiße, dachte sie. Verdammte Scheiße. Das konnte nicht sein. Das durfte einfach nicht wahr sein. Doch sie wusste, dass sie sich nicht täuschte. Schon seit Tagen dachte sie darüber nach, wo sie in letzter Zeit einen solchen stilisierten Fisch gesehen hatte, außer an den Kacheln ihrer Dusche, aber es war ihr nicht eingefallen. Jetzt wusste sie es wieder: auf der Brust des Mannes, der ihr in dieser Kneipe auf die Toilette gefolgt war. Sie hatte ihm das Hemd aufgerissen und dabei war ihr die außergewöhnliche Tätowierung aufgefallen. Im gleichen Moment hatte er ihr unter das T-Shirt gefasst, sie hatte die Augen geschlossen und alles andere ausgeblendet. So, wie sie es immer tat. Scheiße.
    Der schöne Jo. Was für ein idiotischer Name. Aber die größere Idiotin war sie. Das war das Ende ihrer Karriere, so viel war sicher. Vorsichtig äugte sie durch den Türspalt ins Zimmer. Glücklicherweise saß er mit dem Rücken zu ihr. Jetzt wandte er den Kopf zur Seite, um den Stadtplan an der Wand zu mustern, und sie erkannte sein Gesicht. Colin Farrell, daran bestand kein Zweifel. Verdammt! Da drinnen saß ein vorbestrafter Vergewaltiger, und sie war sein Alibi. Das war die schlimmste vorstellbare Katastrophe. Ihr wurde schwindelig. Sie musste etwas tun. Aber was?
    »Hat er irgendwas Brauchbares über diese Frau gesagt?«, presste sie mit belegter Stimme hervor. »Wie sie aussah? Was sie in der Kneipe wollte?«
    Schmiedel schüttelte den Kopf. »Nichts von Belang. Dafür schwelgt er mit Begeisterung in Details, was die Nummer angeht, die sie angeblich auf dem Klo geschoben haben. Die Alte muss richtig abgegangen sein. Wenn du mich fragst, reine Phantasie. Vielleicht hat er davon geträumt, während er sein Opfer traktiert hat. Perverses Schwein.«
    Lydias Beine knickten ein, sie tastete nach Halt, erwischte einen Arm und fing sich wieder. Hastig studierte sie die Gesichter der Kollegen, doch in der allgemeinen Aufregung schien niemand etwas bemerkt zu haben.
    »Gibt es sonst noch etwas, das ich wissen sollte?«, fragte sie. Ihre Gedanken rasten. Sie durfte auf keinen Fall dieses Zimmer betreten. Wenn er sie sah, war alles vorbei.
    »Allerdings«, antwortete Schmiedel. »Der Kerl hat eine hübsche Tätowierung auf der Brust.«
    »Lass mich raten: einen Fisch?«
    Schmiedel grinste. »Korrekt. Ich wette, dass das unser Mann ist. Es passt einfach alles. Willst du jetzt mit ihm reden?«
    Sie schüttelte entschlossen den Kopf. »Nein. Ihr macht das.«
    Er schaute sie ungläubig an.
    »Ich meine es ernst. Ihr habt ihn ausfindig gemacht, also führt ihr auch die erste Vernehmung durch. Viel Glück.«
    Sie drehte sich um und wankte zurück in ihr Büro. Sie wusste, dass ihr alle hinterherstarrten, doch sie hoffte, dass niemandem auffiel, dass sie sich kaum auf den Beinen halten konnte.

33

    Sommer 1984
    Kerstin ist heute nicht in die Schule gegangen, weil sie Bauchschmerzen hat. Mama war bei Kerstin im Zimmer, und er hat an der Tür gelauscht. Sie hat geweint, und Mama hat gesagt, sie soll sich nicht so anstellen. Als Mama aus Kerstins Zimmer gekommen ist, hat er sich hineingeschlichen und ihr die Schokolade geschenkt, die Oma ihm beim letzten Besuch mitgebracht hat. Sie ist mit Marzipan, das mag er sowieso nicht. Kerstin hatte rote Augen und hat ihn böse angeguckt, doch als er ihr die Schokolade gegeben hat, hat sie sich gefreut. Dann hat sie ihn weggescheucht.
    Er steht im Flur und weiß nicht, was er machen soll. Er schleicht ins Bad. Vielleicht kann er seine Boote im Waschbecken schwimmen lassen. Mama kocht und hat dabei das Radio an, bestimmt merkt sie nichts. Er drückt den Stöpsel in das Loch und stellt das Wasser an. Seine Boote liegen oben im Regal. Er klettert aufs Klo, aber er reicht nicht heran. Nachdenklich sieht er sich im Badezimmer um. Vielleicht der Wäschekorb? Wenn man ihn umdreht und auf das Klo stellt, müsste er hoch genug sein. Er kippt die Wäsche aus und hievt den Korb hinauf. Doch wie soll er jetzt hochkommen? Er braucht eine Art Leiter. Schnell rennt er in sein Zimmer und schüttet die Kiste mit den Bauklötzen aus. Er darf nur nicht vergessen, die Klötze nachher wieder hineinzutun. Sonst wird Mama böse. Erst gestern hat sie alles aufgeräumt.
    Er trägt die Kiste ins Bad und stellt sie vor das Klo. Jetzt hat er eine richtige Treppe. Er ist stolz. Vorsichtig steigt er hinauf. Der Korb rutscht ein wenig auf dem Klodeckel hin und her, aber er hält. Er greift nach

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