Der Seele weißes Blut
fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Der Fall war nicht der Grund, warum seine Laune auf dem Tiefpunkt war. Veronika wollte eine Aussprache, und er wollte unbedingt zuerst mit Maren reden, aber er hatte sie den ganzen Tag nicht erreicht. Im Grunde wusste er nicht einmal, was er mit Maren bereden sollte. Sie hatte mit dem Scheitern seiner Ehe nichts zu tun. Und sie sollte auch nicht als Rückversicherung herhalten. Er würde ja wohl noch in der Lage sein, ein ehrliches Gespräch mit seiner Frau zu führen, auch auf die Gefahr hin, dass danach endgültig Schluss war, ohne dass eine andere Frau bereitstand, ihn aufzufangen, wenn er ins Bodenlose fiel. Er hatte sich nie für einen Feigling gehalten. Im Gegenteil. Aber jetzt beschlich ihn das Gefühl, dass er sich all die Jahre etwas vorgemacht hatte. Er blickte seine Kollegin an. Doch bevor sie etwas sagen konnte, klopfte es an der Tür.
Eine junge Frau trat ein. Halverstett glaubte, sie schon einmal gesehen zu haben, aber er erkannte sie erst, als sie sich vorstellte.
»Sandra Thierse, Sie erinnern sich vielleicht. Mein Sohn hat diese Knochen gefunden.«
»Frau Thierse, kommen Sie herein.« Er nahm ihr den Mantel ab, froh, etwas tun zu können. »Das ist meine Kollegin Rita Schmitt. Setzen Sie sich doch.«
Sie wirkte unsicher, er lächelte sie aufmunternd an. »Was kann ich für Sie tun?«
Sie sah die Kerze an. »Nett haben Sie es hier.«
»Kann ich Ihnen vielleicht einen Tee anbieten?«, fragte Rita.
»Nein, danke. Ich muss gleich wieder los. Jakob, mein Sohn, ist bei einem Freund, ich muss ihn pünktlich abholen.« Sie öffnete ihre Handtasche und holte einen Plastikbeutel heraus. »Das habe ich in seinem Zimmer gefunden.« Sie schüttete den Inhalt auf Halverstetts Schreibtisch. Eine Murmel, ein blaues Matchbox-Auto und ein verrostetes Taschenmesser plumpsten auf den Autopsiebericht. »Die Sachen waren in einer anderen Tüte, doch die war vollkommen verrottet, ich habe sie weggeschmissen.« Sie schlug die Hand vor den Mund. »Oder hätte ich sie aufbewahren sollen?«
»Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz«, sagte Halverstett gedehnt. »Warum bringen Sie diese Sachen zu uns?«
»Jakob hat sie aus dem Wald angeschleppt. Er wollte es erst nicht zugeben, aber schließlich hat er mir verraten, dass er die Tüte dort gefunden hat, wo auch der Knochen lag.«
Rita erhob sich neugierig und begutachtete das Spielzeug. »Sie meinen, es ist zusammen mit der Leiche vergraben worden?«
»Ich weiß nicht.« Sandra Thierse zuckte mit den Schultern. »Jedenfalls sagt Jakob, die Tüte hätte unter dem Knochen gelegen, den er ausgegraben hat.«
»Unter dem Knochen?«, wiederholte Halverstett. Jetzt betrachtete auch er die Gegenstände näher. Das Innere der Murmel glitzerte silbrig, das Taschenmesser war offenbar aus silberfarbenem Metall. Die rotbraune Rostschicht war so dick, dass die ursprüngliche Farbe kaum zu erkennen war. Im Gegensatz dazu war das Auto gut erhalten. Es war ein blauer Rennwagen, auf dessen Türen und Schnauze eine schwarze Fünf prangte. Die Felgen waren gelb. Auf dem Fahrersitz saß ein kleiner Mann aus weißem Plastik, hinter ihm im Heck lag offen der Motor. Dieses Auto hätte ihm als Junge auch gefallen. »Das ist wirklich merkwürdig. Die Sachen waren in einer Plastiktüte, sagen Sie?«
»Ja. Ich hätte sie nicht wegwerfen sollen.«
»Sie können sie nicht wieder aus dem Müll holen?«
Sie schüttelte beschämt den Kopf. »Ist heute Morgen abgeholt worden. Tut mir leid. Es war ein ganz normaler durchsichtiger Gefrierbeutel. Nichts Besonderes.«
»Gut. Da kann man nichts machen. Jedenfalls danke ich Ihnen, dass Sie die Sachen vorbeigebracht haben. Vermutlich müssen wir in den nächsten Tagen noch einmal mit Ihrem Sohn sprechen, ihn fragen, wo genau er die Tüte entdeckt hat.«
»Ja, natürlich.« Sandra Thierse erhob sich. »Ich gehe dann mal wieder.«
Als sie fort war, sahen Halverstett und Schmitt sich an. »Eigenartig, findest du nicht?«, meinte Rita. »Eine Tüte mit Spielsachen bei den Gebeinen eines ausgewachsenen Mannes. Wie kann sie dahingekommen sein? Mal angenommen, sie ist nicht zufällig dort gelandet, sondern hat etwas mit unserem Toten zu tun.«
»Das klingt nach einem Familienausflug«, sagte Halverstett sarkastisch. »Die Gebeine eines Mannes, der Ehering einer Frau und die Spielsachen eines Kindes.«
»Wenn das ein Familienausflug war, dann hat er jedenfalls kein gutes Ende genommen.« Rita nahm das kleine Auto in die
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