Der Seele weißes Blut
Abend gesehen zu haben.«
»An die Braut erinnert er sich bestimmt. Haben Sie ihn nach ihr gefragt?«
Schmiedel schüttelte den Kopf. »Leider haben Sie da ebenfalls eine Niete gezogen. Ich habe das dunkle Gefühl, diese Dame gibt es nur in Ihrer Phantasie.«
Brandau grinste. »Ich wünschte, ich hätte so ’ne Phantasie.«
»Beschreiben Sie die Frau doch noch einmal.«
»Also, ich habe mir die echt nicht näher angeguckt. Ging ja auch alles so schnell.«
»Haarfarbe?«
»Eher hell. Blond würde ich sagen. Ziemlich kurz.«
»Größe?«
»Ein bisschen kleiner als ich.«
»Also etwa ein Meter siebzig?«
Er schnaubte unwillig. »Wenn Sie es sagen. Ich weiß es nämlich nicht. Wenn Sie von einer dermaßen geilen Schnitte verführt werden, dann ist Ihnen doch so was völlig egal. Ich kann Ihnen sagen, wie ihre Titten sich angefühlt haben, wenn Ihnen das weiterhilft.«
»Nein, danke.« Schmiedel warf den Kuli auf den Schreibtisch, mit dem er die ganze Zeit herumgespielt hatte.
Meier schaltete sich wieder ein. »›Die könnt ihr schänden und mit ihnen tun, was euch gefällt.‹ Sagt Ihnen das was?«
Brandau zog die Augenbrauen hoch. »Dienstanweisung der Polizei für den Umgang mit Verdächtigen?«
Meier schlug die Faust auf den Tisch. »Ihnen werden die dummen Sprüche schon noch vergehen, Brandau. In diesem Augenblick wird Ihre Wohnung vom Erkennungsdienst auf den Kopf gestellt. Und wenn es auch nur das Geringste zu finden gibt, dann finden die Kollegen es. Verlassen Sie sich drauf.«
Brandau schien das nicht zu interessieren. »Wenn ich gewusst hätte, dass ich Besuch kriege, hätte ich aufgeräumt.«
»Sie sind Christ?«
Er griff nach dem Anhänger. »Und?«
»Dann sollten Sie das Zitat eigentlich kennen. Es stammt aus der Bibel. Buch der Richter. Zeigen Sie uns doch mal die Tätowierung, die Sie auf der Brust haben.«
Brandau blickte unruhig von einem zum anderen. Chris fiel auf, dass er zum ersten Mal während der Vernehmung verunsichert wirkte.
»Muss ich das?«, fragte er.
»Es wäre besser für Sie, wenn Sie kooperieren.«
Er knöpfte schweigend sein Hemd auf und öffnete es so weit, dass man die Tätowierung sehen konnte. Zwei sich kreuzende, gekrümmte Linien bildeten die Konturen eines Fisches.
»Der Verdächtige hat sein Hemd aufgeknöpft. Auf der linken Brust ist ein stilisierter Fisch eintätowiert«, sagte Meier fürs Band. Dann wandte er sich an Brandau. »Danke. Möchten Sie uns sagen, was der Fisch für Sie bedeutet?«
»Er sieht irgendwie cool aus, finden Sie nicht?«
»Welche Bedeutung hat er für Sie?«
»Mann, was weiß ich«, stieß Brandau hervor, während er das Hemd wieder zuknöpfte. »Ich habe mir das machen lassen, als ich neunzehn war. Einfach so. Was soll denn der Aufstand? Bin ich ein Mörder, weil ich ein Fisch-Tattoo habe? Das ist ja vollkommen abgedreht. Ich habe auch noch ’ne Schlange auf dem Arm. Wofür steht die? Bankraub?«
Meier und Schmiedel setzten die Befragung noch eine Weile fort, aber sie bekamen nicht viel mehr aus dem Verdächtigen heraus. Um kurz nach acht beendeten sie die Vernehmung und ließen Brandau abführen.
Chris verabschiedete sich. »Ich sage Lydia Bescheid.«
Schmiedel hob die Hand. »Morgen ist er fällig.«
Chris schlenderte nachdenklich zurück in das Büro, das er mit Lydia teilte. Sie saß am Schreibtisch, das Kinn auf die Hände gestützt, den Blick starr auf den Bildschirm geheftet. Als er eintrat, sah sie hastig auf.
»Und?«
Er schnitt eine Grimasse. »Nichts. Der Kerl ist zäh.«
»Vielleicht ist er der Falsche.«
Chris setzte sich ihr gegenüber. »Ich möchte dir etwas erzählen.«
»Was?« Sie schien nicht sonderlich interessiert, blickte an ihm vorbei auf die Wand.
»Der Kollege, der damals den Fall mit der Frau, die mit Steinen beworfen wurde, bearbeitet hat, ist Stefanies Bruder, mein Ex-Schwager. Als Anna verschwand, hat er mir das Leben zur Hölle gemacht und mich bei den Kollegen angeschwärzt, jeden noch so kleinen Fehler herausposaunt, dafür gesorgt, dass pausenlos hinter meinem Rücken über mich gesprochen wurde. Ich habe mich auch ohne sein Zutun schon mit Selbstvorwürfen gequält, aber er hat immer noch eins draufgesetzt. Viele Kollegen haben zu mir gehalten, aber es gab auch einige, die er erfolgreich gegen mich aufgehetzt hat. Mancher Arbeitstag war ein einziges Spießrutenlaufen.« Er hielt inne, versuchte in Lydias Gesicht zu lesen, doch es war ausdruckslos. »Ich hatte Angst, dass er das
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