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Der Seele weißes Blut

Der Seele weißes Blut

Titel: Der Seele weißes Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Klewe
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Kästners Verschwinden nicht mehr sein Fall. Und sein Schicksal würde höchstwahrscheinlich weiterhin ungeklärt bleiben.
    Lydia zuckte zusammen, als das Telefon schrillte. Sie hatte Löcher in die Luft gestarrt und versucht, das Puzzleteil zu finden, das sie seit dem Vortag zum Narren hielt, indem es ihr immer wieder entglitt, wenn sie im Begriff war, danach zu greifen.
    Die Morde waren am siebten, am zehnten und am siebzehnten September geschehen. Offenbar plante der Mörder akribisch. Also waren vermutlich auch die Daten kein Zufall. Wenn das stimmte, schienen die Zahlen sieben und zehn eine besondere Rolle zu spielen. Heute war der Einundzwanzigste, also dreimal die Sieben. Vielleicht war das der Grund, warum sie schon die ganze Zeit das Gefühl hatte, dass heute etwas passieren würde. Wenn ihr Instinkt sie nicht trog, blieben ihr nur wenige Stunden, um einen weiteren Mord zu verhindern.
    Und das Schlimmste: Sie war ganz auf sich gestellt. Sie allein wusste, dass der Mistkerl vermutlich ein Kollege war. Sie hatte den Gedanken hundertmal hin und her gewälzt, aber es gab keine andere Erklärung dafür, wie eine Kapsel aus der Asservatenkammer des Düsseldorfer Polizeipräsidiums in den Rachen eines Mordopfers gelangt sein konnte. Sie hatte es allerdings nicht gewagt, beim KK 15, dem Kommissariat für Rauschgiftkriminalität, nachzufragen, ob tatsächlich keine der Kapseln in Umlauf gebracht worden war, bevor der Dealer verhaftet wurde. Das Risiko, dass ihr plötzliches Interesse dem Falschen zu Ohren kam, war zu groß. Theoretisch bestand natürlich auch die Möglichkeit, dass der Dieb die Kapseln verkauft hatte. Aber das glaubte sie nicht. Soweit sie sich erinnerte, war die verschwundene Menge sehr gering gewesen. Natürlich gab es keine offiziellen Infos, aber der Flurfunk war meistens sehr zuverlässig. Und dort war von zwölf Kapseln die Rede gewesen. Das bisschen Geld, das man damit machen konnte, lohnte das Risiko nicht, erwischt zu werden. Für diesen Diebstahl gab es nur ein einziges schlüssiges Motiv: Eigenbedarf. Und zwar eine ganz spezielle Variante des Eigenbedarfs.
    Sie stand allein da. Jeder, dem sie dieses Wissen anvertraute, konnte der Falsche sein. Oder es zumindest an den Falschen weitergeben. Und Köster, der Einzige, dem sie absolut vertraute, war viel zu anständig und vorschriftentreu, um sich auf einen waghalsigen Alleingang einzulassen.
    Sie hob ab. »Ja, Louis.«
    Es war der Portier. »Ich habe hier eine Frau Dankert, die dringend mit Ihnen sprechen möchte.«
    Lydia hätte beinahe den Telefonhörer fallen lassen. Sie hatten Ellen Dankert mit Hilfe ihrer DNA identifiziert. Das konnte nicht sein. Ungläubig starrte sie auf den Bildschirm ihres Computers, so als befände sich dort eine Erklärung für dieses Mysterium. Dann dämmerte es ihr. Sicherlich war diese Frau Dankert eine Verwandte von Ellen, vielleicht die Schwägerin, die sich nach dem Stand der Ermittlungen erkundigen wollte.
    »Frau Louis?« Der Pförtner klang besorgt. »Sind Sie noch dran?«
    »Schicken Sie die Frau hoch.« Sie ärgerte sich über ihre alberne Reaktion. Wenn das so weiterging, wurde sie noch paranoid. Nervös trommelte sie mit den Fingern auf die Tischplatte, bis es endlich an der Tür klopfte. Auf ihr »Herein« trat eine ältere Frau ins Zimmer. Sie hatte eine füllige Figur und ein aufgeschwemmtes Gesicht, das von vielen kleinen Linien durchzogen war. Die Ähnlichkeit mit Philipp Dankert war trotzdem nicht zu übersehen. Bevor sie sich setzte, knöpfte die Frau ihren Mantel auf. Darunter trug sie einen engen Rock und eine geblümte Bluse, die über der Brust spannte.
    Sie streckte die Hand aus. »Hannelore Dankert. Ist es richtig, dass Sie den Mord an meiner Schwiegertochter untersuchen?«
    »Das stimmt. Wie kann ich Ihnen helfen?«
    »Ich hatte keine Ahnung, an wen ich mich wenden soll. Aber Sie wissen bestimmt, was zu tun ist.« Sie machte ihre Handtasche auf. Kein weiteres Wort über die Mutter ihrer Enkel. Keine Regung in ihrem Gesicht, doch Lydia erkannte, dass sie sich unter großer Anstrengung zusammenriss, dass ein einziger falscher Laut, eine einzige falsche Bewegung den Damm aus Selbstbeherrschung brechen würde. Sie zog einen Briefumschlag aus der Tasche und reichte ihn Lydia. »Das habe ich in der Sporttasche meines Sohnes gefunden. Ich möchte, dass Sie die entsprechenden Maßnahmen ergreifen.« Sie schien auf dem Stuhl zu schwanken. Einen Moment lang sah es so aus, als würde sie in Ohnmacht

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