Der Seele weißes Blut
blaue Rennauto. »Du hast den Besitzer eines Spielzeugautos gefunden, das möglicherweise seit dreißig Jahren im Wald verbuddelt lag?«
»Genau. Zumindest ist die Spur heiß.«
»Wie heiß?«
»Äquatorheiß. Der Typ heißt Tobias.«
»Hat er auch einen Nachnamen?«
»Sicherlich, aber den kenne ich noch nicht.«
Halverstett zog die Augenbrauen hoch. »Na, dann«, sagte er, nicht sicher, ob seine Kollegin jetzt vollkommen abdrehte.
»Also der Reihe nach: Es gibt im Internet Foren und Fanseiten für so ziemlich jede Interessengruppe. Auch für Sammler von Matchbox-Autos. So weit alles klar?«
»Ich bin nicht aus der Steinzeit. Auch wenn ich vielleicht so aussehe.«
Rita grinste. »Gut. Ich habe mich in einem dieser Foren ein bisschen umgehört. Habe den Wagen beschrieben, den der Junge in der Nähe der Gebeine gefunden hat. Es handelt sich um einen B.R.M., das steht für British Racing Motors, hergestellt in England zwischen 1965 und 1970. Wichtig ist, dass der Wagen einen auffälligen Produktionsfehler hat, ein nicht ganz mittig angebrachtes Hinterrad.« Rita griff nach dem Auto und hielt es Halverstett hin. Der nickte ungeduldig. Rita fuhr fort. »Mein alter Freund hatte mir ja bereits erzählt, dass der gleiche Produktionsfehler selten mehr als einmal zu finden ist, weil diese Wagen normalerweise nicht in den Verkauf kamen. Heute hat sich besagter Tobias gemeldet und erzählt, dass ihm sein Onkel genau so ein Modell mit genau diesem Fehler geschenkt habe, und zwar zu seinem vierten oder fünften Geburtstag. Ganz sicher ist er nicht. Der Onkel hat den B.R.M. selbst als Kind geschenkt bekommen, und es ist sein Lieblingsauto gewesen, gerade wegen des Fehlers. Tobias hing ebenfalls sehr an dem Wagen, vor allem, weil er den Onkel so mochte. Leider ist er ihm schon wenige Wochen nach seinem Geburtstag gestohlen worden. Und zwar – halt dich fest – irgendwann im Sommer Anfang der achtziger Jahre. Passt doch in unseren Zeitrahmen.«
»Unser Toter war also ein Matchbox-Autodieb.«
Rita verdrehte die Augen. »Wart’s ab, es kommt noch besser. Der Typ, dieser Tobias, hatte damals einen Verdacht, wer der Dieb gewesen sein könnte. Es war ein Junge, etwa so alt wie er, der in seiner Nachbarschaft lebte. Und er weiß sogar, was dieser Junge heute macht. Das findet er nämlich sehr witzig.« Rita stellte das Auto wieder auf dem Schreibtisch ab und grinste Halverstett an.
»Ja, und?«
»Der Dieb ist zur Polizei gegangen und arbeitet hier bei uns in Düsseldorf.«
Halverstett schaute von Rita zu dem kleinen blauen Rennwagen. »Du meinst, der Junge, in dessen Besitz dieses Auto zuletzt war, ist ein Kollege hier auf dem Präsidium?«
»Sieht so aus. Auch wenn die Formulierung ›in dessen Besitz‹ nicht exakt zutrifft, da wir genau genommen von Diebesgut sprechen.«
Halverstett verdrehte die Augen. »Aber einen Namen hast du nicht?«
»Noch nicht. Ich habe diesen Tobias danach gefragt, ich hoffe, er antwortet heute noch.«
»Es ist aber nicht gesagt, dass es tatsächlich dasselbe Auto ist«, gab Halverstett zu bedenken. Er wusste nicht, was er von dieser Information halten sollte. Irgendeine Erinnerung nagte an ihm, doch er konnte nicht einmal sagen, ob sie etwas mit dem Fall zu tun hatte oder ob in seinem Schädel im Augenblick zu viele Probleme auf einmal nach Aufmerksamkeit verlangten. »Dieser Tobias kann ein Verrückter sein, der sich einen Spaß mit dir erlaubt. Oder sein Gedächtnis trügt ihn. Er war vier oder fünf Jahre alt. An wie viele Ereignisse aus deiner Kindergartenzeit erinnerst du dich? Und wie klar sind diese Erinnerungen?«
Rita verzog den Mund. »Nun sei doch nicht so ein Spielverderber! Gönn mir meinen Erfolg.«
»Gut«, lenkte er ein. »Sag mir Bescheid, falls dieser Typ dir tatsächlich den Namen eines Kollegen nennt.« Er sah auf die Uhr. »Ich glaube, ich mach bald Schluss für heute.« Er stand auf und sah aus dem Fenster, wo die Dämmerung sich langsam über die Stadt senkte, dann blickte er zurück zu Ritas Schreibtisch, wo ihr Arrangement aus Kerzen und Räucherstäbchen friedlich vor sich hinqualmte. »Ich bin müde. Und ich brauche dringend frische Luft.«
Lydia blickte auf die Uhr. Fast sieben. Salomon war den ganzen Nachmittag noch nicht aufgetaucht. Nicht dass sie ihn vermisste, aber seine Alleingänge machten sie nervös. Seine letzte Solonummer hatte ihr zwar den Hals gerettet, doch sie traute ihm nicht. Er war wie ein Chamäleon, fügte sich scheinbar nahtlos in seine
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