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Der Seele weißes Blut

Der Seele weißes Blut

Titel: Der Seele weißes Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Klewe
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Mamas Stimme.
    »Ja, er ist hier. Du kannst wieder in die Küche gehen. Wir zwei regeln das.«
    Würde Mama doch bloß herunterkommen! Aber ihre Schritte entfernen sich wieder.
    »Also, warum hast du das Zeug in den Keller geschleppt? Wolltest du es verstecken? In der Truhe da, stimmt’s? Du wolltest die Tüte in der Truhe verschwinden lassen.«
    Er schüttelt heftig den Kopf. Er kann nicht anders. Bestimmt wäre es besser, es einfach zuzugeben. Aber es erscheint ihm zu gefährlich.
    »Nein, wolltest du nicht? Was dann?« Papa wedelt mit der Tüte vor seinem Gesicht herum. »Was wolltest du damit machen?«
    »Nichts.« Er sagt es so leise, dass er es selbst fast nicht hört.
    »Nichts! Nichts! Ist das alles, was du zu sagen hast?« Papa stopft die Tüte in die Tasche seines Jacketts und packt ihn bei den Schultern. »Ich sage dir, was ich denke. Du hast die Sachen geklaut. Und jetzt willst du sie verstecken. Du bist ein Dieb und ein Feigling. Und weißt du, was die gerechte Strafe für Diebe und Feiglinge ist?«
    Er schüttelt den Kopf.
    »Du kommst genau da rein, wo du dein Diebesgut verstecken wolltest.« Papa hebt den Deckel der Truhe hoch. Er ist groß und stark und muss sich überhaupt nicht anstrengen.
    Er zittert. In der Truhe ist es stockfinster und bestimmt bekommt man darin kaum Luft. Er will fragen, wie lange er in der Truhe bleiben muss, doch vielleicht ist es besser, wenn er es nicht weiß.
    Papa packt ihn und stößt ihn hinein. Es tut nicht weh. Die Gardinen sind weich und kitzeln in der Nase. Der Deckel knallt zu. Er hört, wie Papa die Treppe hochgeht und die Kellertür schließt. Eigentlich ist es gar nicht so schlimm. Es ist nur schrecklich düster. Und gruselig. Aber er ist sicher vor den Ratten. Und vor Ungeheuern. Bestimmt dauert es nicht so lange, und er darf zum Abendessen wieder heraus. Dann wird alles gut.

43

    »Oh, ein neues Gesicht! Wie bezaubernd! Hallo, mein Täubchen, tritt näher und mach’s dir bequem. So etwas Schnuckeliges, und das so früh am Tag!« Der Mann kam auf Halverstett zu, die Arme zur Begrüßung weit ausgebreitet. Er trug eine hautenge, dunkle Jeans, einen ebenso engen schwarzen Rolli und hatte sich einen weißen Schal um den Hals drapiert. Das füllige graue Haar trug er locker zurückgekämmt, am linken Ohr funkelte ein Brillant. Für fünfundsechzig sah er äußerst attraktiv aus.
    Halverstett blieb irritiert stehen. In seinem ganzen Leben hatte ihn noch keiner »Täubchen« genannt. Außer dem Mann in Schwarz war niemand in dem Gastraum der kleinen Kneipe zu sehen. Kein Wunder an einem Montag um zwölf Uhr mittags. Erstaunlich, dass überhaupt schon geöffnet war. Das Interieur war plüschig rot, und ein süßlicher Vanillegeruch lag in der Luft. Von der Decke hingen allerlei skurrile Gegenstände, offenbar Haushaltsgeräte aus früheren Zeiten: rostige alte Bügeleisen, Schneebesen, Kochlöffel und ein Teekessel. Immerhin passte die Dekoration zu dem Namen der Gaststätte, »Mutters Stübchen«.
    »Ach, mein Lieber. Du siehst ja ganz verlegen aus. Komm mit, wir schauen mal, was wir mit dir anstellen.« Der Fremde griff nach Halverstetts Arm, doch der hatte inzwischen seine Fassung wiedergewonnen und machte sich los.
    »Halverstett, Kriminalpolizei. Sind Sie Rüdiger Karlowski?«
    Der Mann bedachte ihn mit einem kessen Augenaufschlag. »Politesse? Wie niedlich.« Er ging zur Theke, über der etwas baumelte, das Halverstett auf den zweiten Blick als eine Wärmflasche aus Zink erkannte. Genau so eine hatte ihm seine Großmutter immer unter die Bettdecke geschoben, wenn er als kleiner Junge bei ihr übernachtet hatte. »Darf ich dir denn was zu trinken anbieten oder bist du im Dienst, mein Täubchen?«
    Halverstett folgte dem Gastwirt und räusperte sich. »Nein danke, nichts zu trinken, ich habe lediglich ein paar Fragen. Es dauert sicherlich nicht lange. Und bitte ab sofort ohne Täubchen.«
    Karlowski hob die Hände. »Sicherlich, Herr Kommissar. Worum geht es denn?«
    »Stimmt es, dass Sie einen Rainer Kästner kannten?«
    Karlowski wurde blass. »Ach du liebes bisschen! Ihr habt seine Leiche gefunden? Nach all den Jahren? Ist das wahr?«
    Halverstett musterte sein Gegenüber aufmerksam. »Wie kommen Sie darauf, dass es eine Leiche gibt?«
    Karlowski verdrehte die Augen. »Was bitte sonst würde einen von eurem Klub dazu verlassen, so früh am Tag bei mir hereinzuschneien? Der arme Rainer. Ich habe ihn wirklich gemocht. Aber er hat es einfach zu wild getrieben.

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