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Der Seele weißes Blut

Der Seele weißes Blut

Titel: Der Seele weißes Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Klewe
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Umgebung ein, ohne dass er seine wahre Farbe preisgab.
    Es war dämmrig im Büro. Sie hatte das Deckenlicht nicht eingeschaltet, nur die Lampe auf ihrem Schreibtisch brannte. So wirkte der Raum auf seltsam irrationale Art sicherer, jetzt, wo das Feindesland bereits draußen auf dem Korridor begann.
    Lydia stand auf und trat vor den großen Stadtplan, auf dem sie die Tatorte markiert hatte. »Was geht in deinem wirren Kopf vor?«, fragte sie laut. »Was für eine Rechnung hast du mit diesen Frauen zu begleichen? Und warum begleichst du sie auf diese Weise? Was willst du uns mit diesen Bibelstellen sagen? Dass diese drei Frauen gegen Gottes Gebote verstoßen haben? Bist du deshalb zur Polizei gegangen, um Gottes Gebot mit den Mitteln des Rechtsstaats durchzusetzen?«
    Sie fuhr mit den Fingern über die Tatorte. Die zwei ersten, der Wald bei Erkrath und der Zoopark, lagen ungefähr auf einer Linie. Nein, sie lagen genau auf einer Linie. Lydia stockte. Ein Zufall? Sie lief zum Schreibtisch und bog die Lampe so nach oben, dass der Lichtstrahl auf den Plan fiel, dann nahm sie Stift und Lineal und verband die beiden Punkte. Die Linie war vollkommen waagerecht. Bestimmt kein Zufall. Das erklärte die ungewöhnliche, scheinbar planlose Wahl der Tatorte. Vor allem im Fall Ellen Dankert, wo der Mörder sein Opfer aus dem Wald in die Stadt geschafft hatte. Lydia verlängerte die Linie vom Zoopark aus nach unten bis zum Tatort im Südpark. Ihre Hand zitterte beinahe vor Aufregung. Der Strich verlief exakt im rechten Winkel zum ersten, war allerdings fast vier Zentimeter kürzer. Was sollte das werden? Ein Rechteck? Ein Dreieck war es bereits, wenn man vom Südpark herauf wieder nach Erkrath fuhr. Aber Lydia glaubte nicht, dass der Täter sein Werk schon vollendet hatte.
    »Sag’s mir«, murmelte sie. »Was soll das werden? Was für ein makaberes Kunstwerk willst du schaffen?«
    Sie rannte zu ihrem Rechner und ging ins Internet, gab in die Suchmaschine »Christliche Symbole« ein und klickte auf »Bilder«. Schnell hatte sie gefunden, wonach sie suchte. Das Kreuz sprang ihr als Erstes ins Auge. Aber es passte nicht. Es gab keine Möglichkeit, die drei Punkte auf dem Stadtplan so zu verbinden, dass sie ein Kreuz ergaben. Auch nicht, wenn man weitere Punkte hinzufügte. In diesem Fall hätte der Mörder Valentina Frederiksen auf der Rennbahn oberhalb des Grafenberger Waldes umbringen müssen. Oder am S-Bahnhof Eller. Weiter. Hände. Auf keinen Fall. Viel zu kompliziert. Eine Taube. Auch zu kompliziert. Ein Kelch. Dann wäre das angefangene Viereck das Gefäß, und der Fuß fehlte noch. Lydia machte ein paar Skizzen auf ihrem Notizblock. Um einen halbwegs erkennbaren Kelch zu bilden, müsste der Täter noch mindestens vier weitere Morde begehen. Hoffentlich nicht! Lydia klickte sich weiter durch die Symbole, aber alles, was sie fand, war viel zu komplex, um mit wenigen Strichen auszukommen. Blieb nur der Fisch. Der schien es dem Mörder ja besonders angetan zu haben. Aber auch er passte nicht.
    Nachdenklich trat sie zurück an den Stadtplan und kaute auf dem Stift herum. Plötzlich hatte sie eine Idee. Sie malte einen weiteren Punkt oberhalb der Tatorte auf den Aaper Wald, genau über der Mitte der waagerechten Linie. Von diesem Punkt aus zog sie zuerst eine geschwungene Linie über den Erkrather Tatort hinweg bis zum Südpark. Dann eine zweite, die vom gleichen Anfangspunkt aus über den Zoopark führte, die erste Linie kreuzte und im Eller Forst endete. Ein perfekter Fisch. Nicht quer, wie man ihn sonst zeichnete, sondern gewissermaßen auf der Schwanzflosse stehend, aber dennoch sofort zu erkennen. Aaper Wald und Eller Forst. Die beiden Tatorte, die noch fehlten? Aaper Wald? Halverstetts Knochen? Aber die waren von einem Mann und lagen seit dreißig Jahren dort. Verdammt, das musste etwas zu bedeuten haben! Was hatte der Mann im Aaper Wald mit den jungen Frauen zu tun, die in den letzten Wochen ermordet worden waren? Hatte der Fund der Gebeine die Morde in irgendeiner Weise ausgelöst? Kristina Keller wurde etwa zwei Wochen, nachdem die Knochen entdeckt worden waren, umgebracht. Das passte.
    So ein Mist! Sie müsste mit Halverstett reden. Sie müsste wissen, wo genau sich die Fundstelle der Gebeine befand und welche Spuren es gab. Ob eine vielleicht ins Präsidium führte. Die Frage war, ob sie ihm trauen konnte. Bisher hatte sie ihm vertraut. Doch offenbar hatte nun auch bei ihm die verspätete Midlife-Crisis eingesetzt. Warum

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