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Der Seele weißes Blut

Der Seele weißes Blut

Titel: Der Seele weißes Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Klewe
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ließ sie frösteln.
    »Dass sie von der Wohnung dieses Mannes direkt in die Asservatenkammer des Präsidiums gebracht wurden«, ergänzte Maren Lahnstein.
    »Aus der letztens Pillen verschwunden sind.« Lydia wagte nicht, zu Ende zu denken, was das bedeutete. »Es gab eine interne Untersuchung«, fuhr sie fort. »Doch sie ist, soviel ich weiß, im Sand verlaufen. Offiziell erfährt man ja nichts.«
    »Ich halte den schriftlichen Bericht noch ein oder zwei Tage zurück«, sagte Maren Lahnstein leise. »Ich denke, das ist in Ihrem Sinne, Frau Louis.« Sie machte eine kurze Pause, bevor sie kaum hörbar hinzufügte: »Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken.« Dann legte sie auf.
    Lydia hielt den Hörer in der Hand, als wäre er an ihren Fingern festgefroren, und warf einen hastigen Blick zur Tür. Ihr einsames Büro erschien ihr mit einem Mal als der gefährlichste Ort der Welt.

42

    Sommer 1984
    Er sitzt mit einer Tüte Gummibärchen auf der Fensterbank und beobachtet die Straße. Es ist Abend, aber es ist noch nicht dunkel. Eben ist Kerstin aus dem Haus gegangen. Sie hat gelacht und zu ihm hochgewinkt. Sie geht auf eine Party, deshalb war sie den ganzen Tag fröhlich. Sie hat ihm sogar die Tüte Gummibärchen geschenkt. Sie trägt eine Jeans und ein T-Shirt, aber er hat gesehen, wie sie etwas in ihre Tasche gestopft hat, etwas Glitzerndes mit vielen kleinen bunten Plättchen. Das zieht sie bestimmt heimlich auf der Party an.
    Ihm ist langweilig. Auf der Straße ist nichts los. Die Gummibärchen mag er auch nicht mehr. Er springt von der Fensterbank und holt die kleine durchsichtige Plastiktüte hervor, in die er seinen Schatz getan hat. Vielleicht findet er heute ein gutes Versteck dafür. Mama hat das Taschenmesser noch nicht vermisst. Aber Tobias hat überall auf dem Spielplatz sein Auto gesucht. Er hat Tobias sogar geholfen und hatte dabei ein ganz komisches Gefühl im Bauch.
    Ob er woanders ein Loch graben soll? Aber wo?
    Er öffnet die Zimmertür und schleicht auf den Flur. Unten klappert Mama in der Küche herum. Papa ist noch nicht da. Er klettert die Treppe hinunter, so leise, dass Mama nichts hört. Sein Blick fällt auf die Kellertür. Im Keller ist es dunkel und unheimlich, dafür gibt es viele tolle Verstecke. Die Tür ist abgeschlossen, aber der Schlüssel steckt. Mit Mühe dreht er den riesigen Schlüssel im Schloss. Die Tür quietscht, als er sie aufzieht. Erschrocken lauscht er, doch aus der Küche ist immer noch Klappern zu hören.
    Er kommt nicht an den Lichtschalter heran, also muss er im Dunkeln die Treppe hinabsteigen. Etwas Licht fällt durch den Türspalt und durch das winzige, mit Efeu zugewachsene Fenster. Unten ist es kalt. Und es riecht merkwürdig. Alt und staubig. Er macht sich auf die Suche. Die Regale mit den Einmachgläsern sind kein gutes Versteck. Auch nicht der Schrank mit den Wintermänteln. In einer Ecke stehen ein paar alte Stühle und eine Holztruhe, die wie eine echte Schatztruhe aussieht. Eine Schatztruhe für seinen Schatz. Das ist das richtige Versteck. Ob er den Deckel hochheben kann? Er schiebt die alte Wolldecke, die darauf liegt, zur Seite. Sie landet auf dem Boden neben einem Paar Gummistiefeln. Der Deckel ist furchtbar schwer, aber er schafft es, ihn so weit hochzustemmen, dass er in die Truhe hineinschauen kann. Drinnen liegt etwas, das aussieht wie eine Gardine.
    Plötzlich hört er von oben eine Stimme. »Wo ist denn der Junge?«
    Papa!
    Er lässt den Deckel fallen, so schnell, dass er ihm auf den Daumen knallt. Es tut höllisch weh, doch er beißt die Zähne zusammen.
    Mama und Papa rufen nach ihm. Papa klingt böse. Er muss nach oben schleichen, bevor sie ihn finden. Er sagt einfach, dass er sich versteckt hat, damit Papa ihn sucht, wenn er nach Hause kommt.
    Da geht das Licht an. »Ich glaube, das Bürschchen treibt sich im Keller herum. Die Tür ist offen.« Papa poltert die Stufen herunter.
    Er bleibt bei der Truhe stehen und versteckt seinen Schatzbeutel hinter dem Rücken.
    »Ha, hier steckst du.« Papa kommt auf ihn zu.
    Er macht einen Schritt rückwärts und stößt gegen die Truhe.
    Papa sieht ihn an. »Was hast du denn da hinter deinem Rücken?«
    »Nichts.«
    »Dann zeig mir deine Hände.«
    Er kann nicht. Sie kleben an seinem Rücken fest. Papa dreht ihn um, reißt ihm die Tüte aus der Hand und betrachtet die Sachen, ohne sie herauszuholen.
    »So. Das ist also nichts«, sagt er ruhig.
    Auf dem Treppenabsatz klappert es. »Ist er da unten?«, ertönt

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