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Der Seelenbrecher

Der Seelenbrecher

Titel: Der Seelenbrecher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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die Jalousie ihre vergeblichen Versuche, doch ein dünner Metallstab hinderte sie daran, die letzten zwei Zentimeter vor der zerschlagenen Glasscheibe der Tür nach unten zu fahren.
Caspar drehte sich um, wollte nach Tom rufen, was sich aber als überflüssig herausstellte, da dieser bereits hinter ihm stand. Gemeinsam mit Bachmann, der ebenfalls die Treppe zu ihnen heraufgerannt sein musste.
Was ist mit Sophia?, wollte Caspar wissen, aber der Hausmeister kam ihm mit seiner Frage zuvor.
»Haben Sie Raßfeld gefunden?«
»Nein, aber seht mal.«
Caspar deutete auf den Eisenstab, mit dem sich das Außenrollo verkeilt hatte. »Damit hat er wohl das Fenster eingeschlagen.«
»Und sich an den Scherben verletzt.«
Schadeck kniete sich auf den Fußboden und tastete prüfend nach einem der zahlreichen Blutstropfen, die sich auch hier wieder fanden.
»Scheiße.« Der Rettungsfahrer sprach aus, was alle dachten.
Form und Verlauf der Kleckse ließen nur einen Schluss zu.
Der Seelenbrecher war aus seinem Zimmer gesprungen und schon ein Stockwerk tiefer auf einem Balkon gelandet. Er hatte die Scheibe dieser Notausgangstür hier eingeschlagen und mit einem Eisenstab das Rollo verkeilt, bevor es ganz nach unten fahren konnte. Nachdem er in die Klinik zurückgekrochen war, hatte er den Stab weggetreten, und das Rollo war bis auf die letzten zwei Zentimeter nach unten gefahren.
»Soll das etwa heißen, wir …?«
»Ja«, beantwortete Caspar die unvollendete Frage Bachmanns.
»Dann fahr es wieder hoch! Sofort!«, forderte Tom und zeigte auf das Schott. Zuvor hatte er vergeblich versucht, die Jalousie mit der Stange nach oben zu biegen. »Nein.« Der Hausmeister schüttelte den Kopf. »Wie nein? Siehst du es denn nicht? Das Blut führt vom Fenster weg. Wir haben den Seelenbrecher nicht aus-, sondern eingesperrt.«
Hier. Mit uns.
»Nein«, wiederholte Bachmann erneut und sah jetzt so resigniert aus, wie er klang.
»Das ist unmöglich.« Er atmete schwer aus. »Ich kann das Schott nicht einfach so wieder hochfahren.«
     

01.12 Uhr – Zwei Stunden und sechsundzwanzig Minuten vor der Angst
    Caspar wusste, dass die Schneekristalle, die der Sturm in diesem Augenblick von außen gegen die verbarrikadierten Fenster der Teufelsbergklinik wirbelte, eine lange Reise hinter sich hatten. Hoch oben, in der minus fünfzig Grad eisigen Kälte, waren winzige Wassertröpfchen an einem Staubpartikel festgefroren. Bei ihrem Fall durch die Wolken waren die Teilchen anfangs nur einen Zehntelmillimeter groß, und deshalb reichte ihre winzige Oberfläche nicht aus, damit die Reibungswärme des Falls sie zum Schmelzen bringen konnte. Erst in dreitausend Meter Höhe, als sie eine Luftschicht von minus fünfzehn Grad passierten und immer mehr Wasserdampf um den Kondensationskern gefroren war, erhielten sie ihre typische Sternform. Caspar wusste auch, dass die sechs Zacken jedes einzelnen Sterns identisch waren. Trotz der Turbulenzen, trotz der unterschiedlichen Aufprallwinkel der Winde, die beim Fallen an ihnen gezerrt hatten. Und dennoch war noch niemals seit Anbeginn der Menschheit jemals ein Schneekristall doppelt zu Boden gefallen. Jeder einzelne war unterschiedlich. Ein Wunder der Natur, das bereits Aristoteles beschäftigt hatte. An all diese nutzlosen Fakten konnte Caspar sich erinnern. Seine Herkunft hingegen blieb ihm ein Mysterium. Wie war er in diese Villa gelangt? Weshalb kannte er den Mann, der eben versucht hatte, Sophia zu töten? Und wen hatte er mit dem Versprechen, Hilfe zu holen, da draußen alleine zurückgelassen? Caspar spürte ein Ziehen in der Brust, als ihm bewusst wurde, dass nun die äußere Situation zum Spiegelbild seiner inneren Situation geworden war. Ein Schott verhinderte, dass er aus seinem Gefängnis ausbrechen und seine namenlose Tochter suchen konnte. »Also ich weiß nicht, wie’s euch geht.«
Caspar versuchte sich auf die Ansprache des Hausmeisters zu konzentrieren, der einen bemüht lockeren Ton anschlug.
»So früh auf den Beinen an Weihnachten war ich das letzte Mal, als ich mir von meinen Eltern eine CarreraBahn gewünscht hatte.« Bachmanns Absicht, die unerträgliche Anspannung mit einem Scherz zu lösen, schlug fehl. Niemand lachte. Im Gegenteil. Acht misstrauische Augenpaare starrten ihn an. Während Schadeck ihn abfällig musterte, rechnete Caspar bei der Köchin jeden Augenblick mit einem Heulkrampf. Auch Yasmin hatte ihre sonst übliche Teilnahmslosigkeit abgelegt und kratzte sich nervös über die Pulsadern

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