Der Seelenbrecher
dem leise gurgelnden Ölradiator in der Nähe des Kamins.
»Wo auch immer sie nachfragte, immer bekam sie die gleiche Auskunft: eine Hypnose könne derart schwere Schäden nicht hervorrufen. Ihre Trauer steigerte sich zum Wahn, in dem sie den perversen Plan fasste, Marie zu rächen. Sie wollte allen beweisen, dass es sehr wohl möglich war, unter Hypnose einem Menschen die Seele zu brechen. Noch schlimmer. Sie wollte die Schuldigen bestrafen, indem sie sie in den Zustand versetzte, in dem sich Marie befand.«
»Locked in. Eingesperrt im Todesschlaf.«
»Richtig.« Er quittierte Patricks Einwurf mit einem zustimmenden Nicken.
»Während ihres Medizinstudiums hatte sich Sophia für medizinische Hypnose interessiert, ihren Einsatz in der Therapie jedoch immer abgelehnt. Jetzt übte sie mit der Verzweiflung einer Wahnsinnigen, um diese Technik als Waffe einsetzen zu können. Die Methode, die sie ersann, war eigentlich sehr einfach. Als Erstes brachte sie ihre Opfer unter Hypnose zu dem Moment ihrer schlimmsten Alpträume zurück. Dann führte sie einen künstlichen Rapportverlust herbei.« »Sie warf die Menschen in die Hölle und schlug die Tür zu.« Patrick schüttelte entsetzt den Kopf. »Bildlich gesprochen, ja. Sophia verlor ganz bewusst die Kontrolle über ihre Geiseln und ließ sie in einem Zustand, in dem sie nicht mehr steuerbar waren. Da jede fehlerhafte Hypnose irgendwann unweigerlich in einen normalen Schlaf übergeht, aus dem man aufwacht, gab sie ihren Opfern schließlich noch einen posthypnotischen Befehl. Sobald sie erwachten, sollten sie wieder einschlafen.«
»Wie hat sie das geschafft?«
»Haben Sie schon einmal eine Showhypnose erlebt, Lydia?«
»Im Fernsehen. Ein Mann wurde vor Publikum in Trance versetzt. Der Hypnotiseur suggerierte ihm, er wäre ein Hund und könne sich nach dem Aufwachen an nichts mehr erinnern. Doch wann immer die Zuschauer ›Hasso‹ riefen, sollte er dreimal bellen.« »Was er auch tat, wie ich vermute.«
»Ja.«
»Das ist ein vulgäres, aber perfektes Beispiel für einen einfachen posthypnotischen Befehl, wie ihn auch Sophia in ihren Opfern verankert hat. Nur, dass hier niemand ›Hasso‹ rufen musste. Es reichte aus, dass ihre Opfer die Augen öffneten und Lichtphotonen auf die Netzhaut fielen. Das war der Auslöser. Je stärker das Licht, desto schneller sank das Opfer nur kurze Zeit später unweigerlich wieder in die Hypnose zurück.« »Grauenhaft.« Lydia zog fröstelnd den Reißverschluss ihrer Jacke hoch.
»Aber es funktionierte. So ist es Sophia gelungen, ihre Opfer in einen spiralartigen Todesschlaf zu versetzen, der nur beendet werden konnte, wenn man in der Aufwachphase das richtige Codewort nannte: die Lösung der Rätsel auf den entsprechenden Karten.« Der Professor legte beide Hände auf die Rillen der elektrischen Heizung. Obwohl die starke Hitze beinahe seine Fingerkuppen versengte, breitete sich die Wärme nur bis zu den Handgelenken aus.
Als Patrick seine nächste Frage stellte, überzog sich der Körper des Professors mit einer fast schmerzhaften Gänsehaut.
»Was ist mit Haberland passiert?«
Heute, 15.07 Uhr
H aberland?«, wiederholte er leise und ging zu den gläsernen Flügeltüren.
»Ich denke, bevor ich Ihnen etwas über seine Zukunft erzählen kann, müssen wir uns noch etwas mit seiner Vergangenheit beschäftigen.« Er sprach jetzt mit dem Rücken zu ihnen.
»Maries Schlaganfall war selbstverständlich das schlimms te Trauma seines Lebens. Er konnte es nicht fassen, was er bei seiner eigenen Tochter angerichtet haben sollte, und betrank sich noch am Tag des Unglücks. Infolgedessen verursachte er einen schrecklichen Unfall, der ihn beinahe das Leben gekostet hätte. Nachdem seine äußerlichen Wunden verheilt waren, kam er bei Dr. Jonathan Bruck in Behandlung. Im Verlauf der Therapie sprachen sie auch über Marie.
Bruck hatte sich ihre Patientenakte aus der Klinik besorgt, in der Haberlands Tochter intensivmedizinisch betreut wurde.«
»So viel zum Thema Arztgeheimnis«, hörte er Patrick flüstern.
»Nach Auswertung von Maries Blutwerten waren die Ärzte zur Überzeugung gelangt, dass ihr Schlaganfall während, aber nicht anlässlich der Hypnose aufgetreten war. Sophia war über diese Diagnose so erbost, dass sie ihre Tochter nach Berlin überführen ließ.« Er drehte sich wieder zu seinen Studenten um. »Aber die Hamburger Ärzte hatten recht. Wie gesagt, nach heutigen Erkenntnissen der Schulmedizin ist eine fahrlässige Herbeiführung
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