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Der Seelenbrecher

Der Seelenbrecher

Titel: Der Seelenbrecher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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auf die Akte. »Die Antwort stand bereits auf Seite 21 des Protokolls. Erinnern Sie sich noch an die Lösung von Gretas erstem Rätsel, das sie Caspar gestellt hat?« »Der Chirurg ist eine Frau.« Lydia tippte sich an die Stirn. »Das gibt’s doch nicht.«
»Okay, okay, hab ich nicht geschnallt. Aber wie geht’s denn weiter mit der Geschichte?«, fragte Patrick ungeduldig und schlug die Arme fröstelnd um seinen Oberkörper. Auch Lydia sah sich nach ihrer Winterjacke um.
Während der Lektüre war ihnen die Kälte nicht bewusst geworden, die sich mit der einsetzenden Dunkelheit um sie herum noch verstärkt hatte.
Der Professor schlug seinen Schreibblock auf und machte sich eine Notiz.
»Alles der Reihe nach. Zunächst würde ich gerne Ihre spontanen Gedanken erfahren. Was dachten Sie, nachdem Sie den letzten Satz gelesen hatten?«
Er nickte Lydia zu, die fragend auf sich selbst zeigte. »Also, ich …« Die Studentin räusperte sich und griff nach der Wasserflasche. »Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, ob das wirklich so passiert ist.«
Sie trank einen Schluck. Der Professor legte den Stift weg und griff nach dem Originalprotokoll.
»Gute Frage. Dadurch, dass diese Patientenakte fast ausschließlich aus der subjektiven Sicht einer einzigen Person verfasst ist, gibt es natürlich Lücken, und es besteht genügend Spielraum für Interpretationen. Als gesichert gilt aber, dass Niclas Haberland ein Experte auf dem Gebiet der medizinischen Hypnose war, der sich auf die therapeutische Behandlung von Kindern spezialisiert hatte. Vor Jahren hatte er eine heftige Affäre mit einer Kollegin, aus der ein Kind hervorging. Marie. Die Beziehung zerbrach sehr schnell, Sophia Dorn bekam das Sorgerecht und zog in die Hauptstadt.«
Der Professor schlug die Beine unter dem Tisch zusammen.
»Eines Tages erhielt Haberland einen besorgten Anruf aus Berlin. Marie malte im Kunstunterricht verstörende Bilder. Ihre Klassenlehrerin, Katja Adesi, war sich nicht sicher und wollte die Behörden noch nicht einschalten. Sie wandte sich zuerst an den leiblichen Vater. Haberland kam nach Berlin und beschloss, den Dingen auf den Grund zu gehen.«
»Er hypnotisierte Marie?«, warf Lydia ein.
»Hamburg ist von Berlin in anderthalb Stunden mit dem Zug zu erreichen. Er nahm sie mit zu sich in die Praxis und wollte sie noch am Abend zu ihrer Mutter zurückbringen. Doch dazu kam es nie. Die Sitzung endete in einem Desaster. Seine Tochter erlitt während der Behandlung einen Stammhirninfarkt.«
»Verdammt.« Patrick sah aus, als hätte er Zahnschmerzen. »Der Stecker war also gezogen.«
»Was meinst du damit?«, fragte Lydia und drehte sich zu ihrem Freund. Der Abstand zwischen den beiden war deutlich größer als noch zu Beginn des Experiments. Als hätte die Akte einen unsichtbaren Keil zwischen das Paar getrieben. Der Professor machte sich eine weitere Notiz.
»Nun, Ihr Freund benutzte gerade eine Metapher für das, was wir das Locked-in-Syndrom nennen«, sagte er und sah wieder auf. »Ein Zustand, in dem das Gehirn noch funktioniert, aber keinerlei Verbindung zur Außenwelt mehr herstellen kann. Stellen Sie sich vor, Sie können nicht sehen, hören, schmecken, riechen, atmen oder fühlen. Nur noch denken.«
»Grundgütiger.«
»Noch nie zuvor war eine solch schwere Nebenwirkung durch eine fehlerhafte Hypnose beobachtet worden.«
Lydia räusperte sich erneut. »Ist das Mädchen gestorben?«
»Nein, schlimmer. Marie blieb für den Rest ihres Lebens körperlich und geistig zerstört. Und auch ihre Mutter zerbrach innerlich, ohne sich äußerlich etwas anmerken zu lassen. Ihr Freund verließ sie kurze Zeit nach diesem Schicksalsschlag. Bis heute bestreitet er, Marie etwas angetan zu haben.«
Ein Kieselstein klackte gegen die großen Fensterscheiben. Noch trug der auffrischende Wind nur Dreck und Geröll mit sich. Die Trauerweide senkte sich, als der Professor weitersprach.
»Erst versuchte Sophia, auf legalem Weg Genugtuung zu erhalten. Sie suchte sich eine Anwältin, Doreen Brandt, doch die lehnte es schließlich ab, eine Klage gegen Niclas Haberland zu führen, weil sie es für sehr schwierig hielt, ihm einen Fehler nachzuweisen. Sie schlug einen Vergleich vor.«
Der Professor stand auf und zog ebenfalls die Schultern nach hinten, um sich zu lockern. Allen Übungen zum Trotz würden seine schmerzenden Gelenke ihn spätestens morgen wieder daran erinnern, dass er heute zu lange gesessen hatte.
»Sophia wurde immer verzweifelter«, sagte er und ging zu

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