Der Seelenfänger (German Edition)
Mutter betrachtete das Tablett mit den dampfend heißen Kartoffelpuffern. »Hmm, ich würde mich auch mit nicht ganz so stattlichen Schwiegersöhnen zufriedengeben. Ein stattlicher Mann ist was Feines, aber nach der Hochzeitsnacht kommt es darauf nicht mehr so an! Und da Sie schon dabei sind, könnten Sie nicht eine Prise Sparsamkeit und noch ein bisschen Arbeitsmoral dazugeben?«
»Deine Mutter«, sagte Mrs Lassky zu Sascha, »ist eine kluge Frau.«
Und dann machte sie es.
Was dieses »es« auch sein mochte.
Ein Schein schimmerte über ihrem Kopf, wie der milchige Lichtkranz, der sich in nebligen Nächten um Straßenlaternen legt. Sascha vermutete, dass es das sein musste, was man eine Aura nannte. Freilich klang das Wort »Aura« sehr geheimnisvoll und gelehrt, während das schimmernde Licht um die Bäckerin und ihre Kartoffelpuffer etwas großmütterlich altmodisch und einfältig wirkte, ja, eigentlich ganz wie Mrs Lassky selbst.
»Was haben Sie da gerade gemacht?«, fragte er sie.
»Nichts, mein Schatz. Zerbrich dir deswegen nicht deinen süßen Lockenkopf!«
»Aber irgendetwas haben Sie gemacht, so ein Zau… Aua!«
Seine Mutter hatte ihm gerade einen schmerzhaften Tritt gegen das Schienbein verpasst.
»Warum trittst du mich?«, schrie er, vor Schmerz auf einem Bein hüpfend.
»Schwindel nicht!«, fuhr ihn seine Mutter an. »Wer mag schon Lügner!«
Hinterher fragte sich Sascha, wie er nur so begriffsstutzig sein konnte. Aber in dem Augenblick war er so empört, dass er die Ladenklingel überhörte. Er sah auch nicht, dass Mrs Lassky vor Schreck den Mund aufriss und dass sich die Kundschaft teilte wie einst das Rote Meer vor Mose.
»Ich bin kein Lügner«, beteuerte er. »Sie hat etwas mit den Puffern gemacht, irgendeinen Zauber. Das habe ich genau gesehen!«
Gerade wollte er sagen, was er gesehen hatte, als ihn eine schwere Hand an der Schulter packte und ihn herumdrehte. Vor ihm stand ein uniformierter Inquisitor der New Yorker Polizei.
Saschas Kopf reichte nur bis zum Koppel des Polizisten. Er hob die Augen, sein Blick durchmaß die weite Strecke aus blauem Uniformtuch, die sich über ihm wölbte, und fiel auf die golden schimmernde Polizeimarke mit der drohenden Inschrift INQUISITOR . Über der Polizeimarke traf ihn ein messerscharfer Blick aus himmelblauen Augen.
»Was du nicht sagst.« Der Inquisitor zückte sein schwarzes Notizbuch und machte ein Kreuz vor die Rubrik »Unerlaubte Ausübung von Zauberei«. »So, mein Junge, jetzt erzähle mir mal genau, was du gesehen hast. Und bleib hübsch bei der Wahrheit, denn du musst das alles am Montagmorgen vor dem Richter wiederholen.«
2 Wessen Schwein bist du?
Der unglückliche Vorfall in Mrs Lasskys Bäckerei veränderte Saschas Leben von Grund auf. Noch vor Ende des Monats holte man ihn aus der Schule, trennte ihn von seinen Freunden und unterwarf ihn allen bei der New Yorker Polizei gängigen Eignungstests.
Die meisten Tests waren seltsam und einige wirklich abartig – wie zum Beispiel derjenige, bei dem man ihn in ein dunkles Zimmer setzte, wo er Zaubersprüche laut vorlesen musste, während im Hintergrund eine Maschine lief, vermutlich um für die Nachwelt seine Unfähigkeit zur Zauberei zu dokumentieren.
Der schlimmste aber war der Inquisitionsquotienten-Test ( IQ -Test): Die fünfstündige Prüfung mit vielen kniffeligen Fragen fand in einem ungeheizten Keller statt. Ein gelangweilt blickendes, irisches Mädchen führte die Aufsicht und ließ keinen Zweifel daran, dass dies nicht ihrer Vorstellung von einem spaßigen Wochenende entsprach. Mit benebeltem Kopf füllte Sascha die Testbögen aus und riet bei den meisten Antworten nur. Das Einzige, woran er sich später noch genau erinnern konnte, war das Schwein.
Es war ein großes Schwein – eine alte Hausschweinrasse namens Gloustershire, wie der Prüfling neben ihm wusste. Es wurde im Prüfungsraum losgebunden und lief mit einem Schild auf dem Rücken herum, darauf stand geschrieben:
ICH BIN PADDY DOYLES SCHWEIN –
WESSEN SCHWEIN BIST DU?
Das Schild war eigentlich überflüssig, denn jemand hatte das Schwein verhext, sodass es quiekte: »Wessen Schwein bist du?«
Das arme Schwein machte einen ganz verstörten Eindruck. Obwohl Sascha mit den anderen lachte, war er im Stillen doch erleichtert, als das gelangweilt schauende irische Mädchen das Schild schließlich wegnahm und über dem Knie entzweibrach. Darauf lief das Schwein quiekend und furzend wie ein gewöhnliches Schwein
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