Der Seelenfänger
hat Lust am Gesetz des Herrn.
Und sinnt über seinem Gesetz Tag und Nacht!
Der ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht.
Und was er macht, das gerät wohl.«
Preacher legte die Bibel zur Seite, knipste das Licht aus, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte ins Dunkel. Einige seiner Probleme waren gelöst. Stand nicht geschrieben, daß seine Arbeit ihm wohl geraten werde? Wenn er davon profitierte, daß er Gottes Wort predigte, dann traf ihn keine Schuld. Er tat ja damit Gottes Werke.
Dennoch blieben Zweifel. Machte er sich vielleicht etwas vor? Versuchte er zu rechtfertigen, was nicht zu rechtfertigen war? War es nicht doch seine Eitelkeit, die ihn trieb? Er stand noch einmal auf und kniete sich neben das Bett. Seine Stimme hallte im leeren Wohnwagen wider, als er die Worte des 139. Psalms sprach.
»Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich’s meine.
Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.«
Er lehnte sich mit den Armen auf die Bettkante und legte den Kopf darauf. »Du bist nicht wie andere, Constantine«, hatte ihm seine Mutter einmal gesagt. »Du brauchst eine Kirche. Ehe du nicht auf deiner eigenen Kanzel stehst, wirst du die Menschen nicht rühren.«
Damals hatte er nicht gewußt, was sie meinte. Jetzt war es ihm klar. Sein Gott war ein sehr persönlicher Gott. Jesus war menschlich für ihn, Jesus verstand die menschlichen Schwächen, weil er selbst ein Menschensohn war. Deshalb konnte er auch den Menschen vergeben, ihre Sünden auf sich nehmen und für sie sterben, so daß sie erlöst waren. Keine Drohungen, Kriege und Strafen. Keine Rachegedanken wie bei Gottvater, dem schrecklichen Herrn. Nur Vergebung und Gnade für den, der ihn annimmt.
Preacher hörte nicht, daß jemand leise die Tür öffnete. Erst als der Vorhang weggezogen wurde, merkte er, daß er nicht mehr allein war.
»He, Preacher«, rief Charlie.
Er wandte sich um. Sie trug eine verblichene Wolljacke über dem Nachthemd. »Was ist?« fragte er.
»Beverly und Joe liegen draußen im Auto und vögeln«, sagte sie.
Preacher setzte sich auf die Bettkante. »Und warum erzählst du mir das?«
»Ich bin einfach neidisch«, sagte sie. »Die beiden amüsieren sich so gut, daß ich selbst richtig Lust gekriegt habe.«
Preacher verzog das Gesicht, dann lachte er plötzlich. Es hatte sich überhaupt nichts geändert. Die Menschen waren immer noch Kinder. Ein Stein fiel dem künftigen Kirchengründer vom Herzen. »Das kann ich verstehen.«
»Ach?« sagte Charlie verblüfft. »Ich dachte, bei dir rührt sich überhaupt nichts mehr in der Hose.«
Preacher stand auf und drückte sie an sich. »Wie kommst du denn darauf?«
Zehntes Kapitel
Als die schwarze Limousine vorfuhr, drehten sich die Rotorflügel des Hubschraubers schon. Der Chauffeur riß die Tür auf, und Preacher stieg aus.
Im selben Augenblick steckte Randle seinen Kopf aus der Kabine des Hubschraubers. »Hierher, mein Sohn«, brüllte er laut, um den Motor zu übertönen. »Wir wollen doch nicht den ganzen Tag hier herumtrödeln.«
Der Pilot half Preacher an Bord.
»Ihr Platz ist der neben Mr. Randle«, sagte er und schob die Kabinentür zu.
Kaum hatte Preacher seinen Sicherheitsgurt umgeschnallt, da hob der Hubschrauber auch schon ab. Es waren sechs Sitze in der Kabine, aber außer Preacher und Randle war nur noch ein weiterer Passagier da, der vor ihnen saß und ihnen den Rücken zukehrte.
Randle grinste. »Ich hab Sie früh aus den Federn geholt, was, mein Sohn?«
Preacher warf einen Blick auf die Uhr. Es war gerade halb acht. »Allerdings, Sir.«
»Morgenstund hat Gold im Mund, sag ich immer. Morgens früh gelingt die Arbeit am besten«, sagte Randle. »Ich dachte, es wäre besser, ich hole Sie, ehe Ihr kleiner Betthase Sie vollkommen schlapp macht.«
Preacher gab keine Antwort, sondern sah Randle nur abschätzig an.
Der alte Mann ließ sich nicht beeindrucken. »Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, daß ich alles weiß, was bei euch vorgeht.«
Preacher schwieg.
»Interessiert es Sie gar nicht, wohin wir so früh am Morgen schon unterwegs sind?«
»Doch«, nickte Preacher.
»Wir sehen uns das Grundstück an, wo die Kirche gebaut werden soll.«
»Warum sind wir nicht mit dem Auto gefahren?«
»Es ist einfacher so«, sagte Randle. »Die Stelle liegt fünfundvierzig Meilen nördlich der Stadt.« Er beugte sich
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