Der Seelenfänger
waren Joe und Beverly bei ihm. Sie rissen die Vorhänge auf und starrten ihn an. »Was ist mit dir los?« fragte Joe ängstlich. »Bist du krank?«
Preachers Augen starrten ins Leere. Es schien, als ob er Welten erblickte, die weit jenseits der Wirklichkeit lagen. »Wir werden hier eine Kirche bauen.«
Joe sperrte den Mund auf. »Machst du Witze? Eine Kirche ist
doch das letzte, was dieses Drecksnest hier braucht. Die können ja nicht einmal die unterhalten, die sie schon haben!«
Preacher gab keine Antwort.
»Randle hat dich völlig besoffen gemacht mit seinen Millionen«, sagte Joe. »Aber Geld schafft noch keine Gemeinde. Um eine Kirche zu errichten, braucht man Menschen und noch einmal Menschen. Und die gibt es hier nicht.«
»Das weiß ich auch«, sagte Preacher.
»Dann halte dich dran«, sagte Joe. »Wenn er dir das Geld gibt, um eine Gemeinde zu gründen, dann bau deine Kirche da, wo du wenigstens eine Chance hast!«
Preacher ließ sich nicht irritieren. »Gott will hier seine Kirche. Hier wird sie gebaut.«
»Woher weißt du denn, wo Gott seine Kirche hinhaben will?« fragte Joe. »Hat er dir das persönlich gesagt?«
»Ja«, sagte Preacher.
Joe starrte ihn ungläubig an. »Bist du betrunken, oder hast du gekifft?«
Preacher schüttelte den Kopf. »Ich habe Gott um ein Zeichen gebeten, und er hat mir ein Zeichen geschickt.«
»Hör mal«, sagte Joe. »Du stehst hier nicht auf der Kanzel. Du redest mit mir!«
Preacher stand auf. »Joe, es ist wahr. Eben, als ich draußen auf dem Feld stand, habe ich Gott um ein Zeichen gebeten. Ich bat ihn, mir zu zeigen, daß ich noch seinen Willen erfülle und nicht vom Teufel gelenkt werde, und er hat mir geantwortet. Drei Sternschnuppen, jede heller und größer als die andere, schössen über den Himmel, und die letzte blieb einen Augenblick über mir stehen. Da spürte ich, wie mich Gottes Klarheit und Wärme erfüllte, und ich wußte, hier muß die Kirche gebaut werden.«
»Bist du sicher, daß du dir das alles nicht einbildest?« fragte
Joe. »Wir sind hier in Texas, da ist der Himmel immer voll Sternschnuppen.«
»Aber nicht solche«, erwiderte Preacher. »Ich weiß, was ich gesehen und was ich gefühlt habe.«
Joe wußte nicht weiter. Beverly nahm ihn beim Arm. »Komm, Joe, wir sind alle sehr müde. Schlafen wir erst einmal drüber. Wir können ja morgen früh weiterreden.«
Joe nickte. »Okay.« Er blickte Preacher sorgenvoll an. »Bist du ganz sicher, daß dir nichts fehlt? Magst du noch irgendwas trinken?«
»Mir ist es nie besser gegangen«, sagte Preacher.
»Na, schön«, sagte Joe zögernd. »Gute Nacht, dann!«
»Gute Nacht«, sagte Beverly.
Sie ließen den Vorhang zurückfallen und setzten sich wieder an den Tisch. »Was hältst du davon?« fragte Joe leise.
»Ich weiß nicht recht«, flüsterte Beverly.
»Komm, stell dich ans Fenster«, sagte Joe. »Ich zeig dir hundert Sternschnuppen in einer Stunde.«
»Das schon«, gab Beverly zu. »Aber das sind nicht die Sterne, die Preacher gesehen hat.«
»Du glaubst ihm?«
Beverly drehte sich um. Ihre Augen waren groß und vage geworden. »Natürlich glaube ich ihm. Ich habe ihm immer geglaubt. Genauso wie du. Was hätten wir für einen Grund, bei ihm zu bleiben, wenn wir ihm nicht glauben? Reich wird doch keiner davon, oder?«
»Liebst du ihn?« fragte er.
»Natürlich liebe ich ihn. Du nicht?«
Joe nickte. »So wird es wohl sein.«
»Aber ich bin nicht verliebt«, sagte Beverly. »Das ist etwas anderes.«
»Ich weiß«, sagte Joe. »Ich bin doch nicht blöd.«
Sie lächelte, als sie sein Blick traf. »Dann zeig’s mir doch, Joe.«
»Hey«, sagte er heftig. »Ich dachte -«
»Ach, denk nicht so viel«, sagte sie und legte ihm die Hand auf den Mund, als Joe sie umarmte. »Das brauchst du doch gar nicht.«
Preacher saß auf dem Bett, die Bibel noch immer unaufgeschla-gen im Schoß, als die Tür des Wohnwagens hinter Joe und Beverly zuschlug. Er stand auf und begann, sich zu entkleiden. Alles hatte sich schlagartig geändert. Es war, als ob ihn eine Flutwelle erfaßt hätte, die ihn davontrug. Zu einem fernen Ufer, das er nicht kannte.
Er streckte sich nackt auf dem Bett aus, schob sich das Kissen unter den Kopf und knipste das kleine Nachtlämpchen an. Dann nahm er die Bibel, schlug den ersten Psalm auf und las, wobei er lautlos die Lippen bewegte.
»Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen noch tritt auf den Weg der Sünder noch sitzt, wo die Spötter sitzen, sondern
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