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Der Seelenleser

Der Seelenleser

Titel: Der Seelenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harper Paul
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Wodka selbst umgebracht, und Fane hatte zuerst angenommen, dass es sich um einen Pädophilen handelte. Doch als er begann, die Bilder genauer zu betrachten, die im Uhrzeigersinn nach aufsteigendem Alter der Abgebildeten um die Leiche drapiert waren, entdeckte Fane überrascht, dass alle Fotos den Toten darstellten.
    Diese Entdeckung hatte ihn verstört, und Fane verbrachte fast eine Stunde alleine mit dem toten Informanten und schaute sich die Bilder an. Aus einem unerklärlichen Grund fühlte er sich verpflichtet, jedes der Bilder gewissenhaft zu betrachten, sie in der Reihenfolge durchzusehen, in der der Mann sie angeordnet hatte. Er nahm sich die Zeit, sorgfältig das sich ändernde Gesicht des heranwachsenden Jungen zu betrachten, bis er etwas fand, woran er ihn als den Mann, den er kannte, identifizieren konnte: das leichte Zusammenziehen der Augenbraue bei Besorgnis, der Beginn eines schüchternen Lächelns, eine quälende Leere, flüchtige Fröhlichkeit und später das Fehlen der Unschuld.
    Warum hatte der Mann die Fotografien in seiner Todesstunde um sich herum aufgereiht? Woran hatte er gedacht, als er seine letzte Stunde damit verbracht hatte, die Bilder anzuordnen und zum letzten Mal in die Gesichter des Jungen zu blicken, der er einst gewesen war? Alle diese Fragen quälten Fane noch Wochen später.
    Er begann, Bücher über Fotoporträts zu sammeln. Fane wusste nicht, ob er richtig interpretierte, was er in den darin abgebildeten Gesichtern sah; er wusste nur, dass er sie betrachten wollte. Er hatte inzwischen ziemlich viele solcher Bücher, und von Zeit zu Zeit nahm er sich einige davon aus den Regalen und verbrachte Stunden damit, die Seiten durchzublättern.
    Er hängte sein Jackett über die Rückenlehne eines Stuhls und ging mit seinem Drink zur Glastür hinüber, die zur Terrasse führte. Der Regen hatte gerade wieder eingesetzt. Er schaute nach draußen auf die Lichter der Golden Gate Bridge zu seiner Linken und auf den Yachthafen unter ihm. Vielleicht gewöhnten sich die Leute nach einer Weile an einen tollen Ausblick, aber er, das wusste er, würde nie genug davon bekommen.
    Seine Gedanken wanderten zu Vera List. Sie war intelligent– und verängstigt. Sie hatte ein verdammt interessantes Problem am Hacken, und sie hatte ein mutiges Ziel. Das erste Hindernis, das er bemerkt hatte, war ihre Schweigepflicht. Sie hatte es vermieden, es ihm direkt ins Gesicht zu sagen, aber Fane hatte definitiv den Eindruck gewonnen, dass er keinen Zugriff auf Elise und Lore haben würde. Vera wollte nicht, dass die beiden erfuhren, was mit ihnen gerade geschah. Doch das würde sich ändern müssen.
    Aber Fane hatte darüber noch nicht mit ihr gesprochen. Vera war allein durch ihre Situation bereits so sehr unter Stress, dass sie am Rande einer Panik stand, und daher war es besser, die Diskussion über dieses Thema auf einen anderen Zeitpunkt zu verschieben.
    Alles in allem hatte er den Eindruck, dass sie eine Frau war, die eine Sache bis zum Ende durchdenken konnte. Sie schien zu verstehen, worauf sie sich in etwa gefasst machen musste, und seine Warnungen hatten ihrer Entschlossenheit nichts anhaben können. Wahrscheinlich konnten Psychoanalytiker besser als die meisten anderen zwischen den Zeilen lesen.
    Außerdem hatte er den Eindruck, dass Vera schon zu dem Zeitpunkt, als sie Shen Moretti um Hilfe bat, beschlossen hatte, etwas zu unternehmen, egal wie hoch der Preis sein würde. Er bezweifelte, dass er sie in irgendeiner Weise hätte umstimmen können.
    Er zog sein BlackBerry aus der Tasche und rief sie an.
    » Wie sieht Ihr Plan für morgen früh aus?«
    Es entstand eine kleine Pause. » Ich habe um zehn… Nein, sie hat abgesagt. Also habe ich frei. Aber dann bin ich ab ein Uhr den ganzen Nachmittag ausgebucht.«
    » In Ordnung, das ist gut. Es gibt ein paar Dinge, die wir tun müssen.«
    Es war fast 23 Uhr, ehe er seine Notizen zu dem Gespräch mit Vera List niedergeschrieben hatte. Er schloss die Datei, und als er von seinem Computer aufstand, blieb sein Blick auf dem schimmernden Cockpit des Modellflugzeugs auf seinem Schreibtisch hängen. Es war das Modell einer alten Beechcraft C-12F Huron. So ein Flugzeug hatte er gesteuert, als er achtzehn war; er hatte Fracht, von der er dachte, es wäre Schmuggelware, zur vor der Küste Venezuelas gelegenen Insel Margareta geflogen. Ein Stück Korallenriff, das er im gleichen Jahr aus dem Bonaire Basin mitgenommen hatte, stand unter dem Modell der Huron.
    Obwohl der

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