Der Seelenleser
Gefahr ist, kann er ihr das Gefühl vermitteln, dass sie es wäre. Vielleicht berauscht er sich daran.«
» Glaubst du etwa, dass sie nicht in Gefahr ist?«
» Das wollte ich damit nicht sagen. Aber sie ist deutlich nervöser als Elise, mehr dafür anfällig, dass ihr Vorstellungsvermögen alle Vernunft hinwegwischt. Und außerdem gibt es Veras Akten. Kroll hat hier die Hand auf einer unglaublichen Menge vertraulicher Informationen. Und er muss nur ein wenig auf seiner Tastatur herumtippen, um das ganze Zeug der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das könnte ziemlich viele Leben zerstören.«
Fanes BlackBerry brummte. Moretti war dran.
Moretti wollte nicht am Telefon reden, daher verabredeten sie sich in Fanes Haus, das sich ungefähr in der Mitte zwischen Morettis Wohnung in Presidio Heights und Rose’s Café befand.
Fane und Roma waren genauso gespannt zu hören, was Moretti herausgefunden hatte, wie er begierig war, es zu erzählen. Er hatte seinen Kontaktmann bei Vector Strategies am Vorabend sofort nach seinem Gespräch mit Fane angerufen, und die beiden Männer hatten sich ein paar Stunden später im Lucky Penny Coffee Shop am Geary Boulevard getroffen.
» Mein Mann– nennen wir ihn Parker– kannte Kroll«, sagte Moretti und warf seinen Regenmantel über eine rustikale Tonamphore, die ihm bis über die Hüfte reichte. » Er konnte ihn nicht leiden, und auch sonst keiner. Aber er war wohl gut. Allerdings arbeitet er nicht länger für VS . Er ist vor sechs Monaten gegangen.«
» Vor sechs Monaten?«
» Ja, er hat aufgehört. Besser gesagt, er ist einfach verschwunden. Er kam einfach eines Tages nicht mehr zur Arbeit, und das war’s. Aber das Wichtige über Kroll ist sein Hintergrund. Ein Rätsel für euch: Was haben diese Orte gemeinsam: eine Ziegelfabrik außerhalb von Kabul, das Al Jafr-Gefängnis in Jordanien, Rabat in Marokko, Peschawar und Kohat in Pakistan, dann Rumänien und schließlich ein Jet vom Typ Gulfstream V?«
» Du machst doch Scherze«, sagte Roma. » Geheimgefängnisse?«
» He, du bist gut«, grinste Moretti überrascht. » Kroll war bei der CIA als Psychologie-Spezialist, als qualifizierter SERE -Ausbilder auf C-Niveau…«
» Warte mal«, unterbrach ihn Fane. » Erklär mal kurz.«
» SERE ist die Abkürzung für Survival, Evasion, Resistance and Escape, also Überleben, Tarnen, Widerstand und Flucht. Das ist ein militärisches Ausbildungsprogramm für Spezialeinheiten, in dem sie Überlebenstechniken lernen. Ein mächtiger Teil davon ist die psychologische Komponente, wo sie Leuten beibringen, wie sie Folter ertragen können, wenn sie gefangen genommen werden.
Nach dem 11. September wurden vermehrt › erweiterte Befragungstechniken‹ an Terrorverdächtigen ausprobiert. Die CIA hatte diese Terrorverdächtigungen durch eine sogenannte außerordentliche Auslieferung in die Hände bekommen, sprich: entführt. Diese neuen Techniken, die Kroll verwendete, waren unter dem Titel › Das Programm‹ bekannt.
Kroll besuchte alle der von mir erwähnten Geheimgefängnisse und außerdem noch Guantánamo, um den obersten Vernehmungsoffizieren als Berater zur Seite zu stehen. Das jedenfalls ist die offizielle Geschichte.
Dann, 2008, verließ er die CIA unter Nennung obskurer Gründe. Möglicherweise ging es darum, wie er einige der Vernehmungen durchgeführt hatte. Parker wollte mir dazu nichts Näheres sagen.
Und dann bewarb sich Kroll wie Hunderte anderer hochrangiger Geheimdienstler vor ihm bei VS . Wie ihr wisst, sind die ja der weltweit größte gewerbliche Arbeitgeber für ehemalige Mitarbeiter der Regierungsgeheimdienste. Irgendwann taucht jeder dort einmal auf. Er hatte Empfehlungsschreiben bis dorthinaus, und um ihn rankten sich ziemlich schmutzige Gerüchte über irgendwelche seltsamen Befragungstechniken, an denen er gearbeitet haben sollte. Vector zögerte nicht lange, nahm ihn auf und schickte ihn sofort an die Arbeit.«
Moretti schüttelte den Kopf.
» Der Typ hat übrigens eine der höchsten Sicherheitsstufen, die man haben kann. Wenn solche Leute die CIA verlassen und bei einem Geheimdienst-Vertragsunternehmen anheuern, dürfen sie meist ihre Sicherheitsstufe behalten. Damit hatte er jede Menge Spielraum und Zugriff auf alle geheimen Dateien bei Vector. Dann wurde ihm, aus welchem Grund auch immer, der Currin-Auftrag gegeben.«
» Wie lange war er an der Currin-Sache dran?«
» Nicht so lange. Ungefähr vier Monate, und dann war er plötzlich
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