Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
Burmönkens übernachten, und sie und Ilse waren unzertrennlich. Aber dann war Ilse gestorben, keine zwölf Jahre alt, und Gretel hatte sich Idas angenommen. Wie eine ältere Schwester stand sie Ida zur Seite, auch später noch, Mitte der dreißiger Jahre, als Gretel fortgegangen war und ihre erste Stelle angetreten hatte, in Hamburg in der Johnsallee, bei einer Arztfamilie, die dann nach London gezogen war und sie als Hausmädchen hatte mitnehmen wollen.
Es gab im Leben immer wieder diese Wegkreuzungen, das hatte sie gelernt, an denen man sich entscheiden mußte, in welcher Richtung man weiterging. Dort standen, unsichtbar, die guten und die bösen Geister. Ohne sich zu erkennen zu geben, lockten sie: Folge mir. Ging man in die falsche Richtung, erwartete einen das Unglück. Gretel wußte mittlerweile, daß es immer nur darauf ankam, auf sich selber zu hören. Sie konnte zwischen den guten und den bösen Geistern unterscheiden, sie hatte es immer richtig gemacht, fand sie.
Auch mit Hermann. Kurz vor dem Krieg hatten sie sich auf einem Tanzfest im Kaffeegarten des Winterhuder Fährhauses kennengelernt, ausgerechnet, unter ein paar hundert Gästen. Er war ihre große Liebe gewesen. Er lernte auf Melkmeister in Aumühle. Doch er erwiderte ihre Gefühle nicht. Sie hatten sich trotzdem immer und immer wieder getroffen, denn sie verstanden sich gut, und Gretel hatte von ihrer Mutter gelernt, daß eine Frau einen Mann nicht drängen soll, daß sie warten können muß, daß eine Sache nur gut ausgehen kann, wenn er sich müht und um sie wirbt, nicht umgekehrt. Also versteckte sie ihre wahren Gefühle. Doch bald sah sie ein, daß es keinen Zweck hatte. Kurzerhand lud sie Ida an einem Sonntag zu sich ein und verkuppelte die beiden miteinander: So konnte Hermann ihr erhalten bleiben. Er war zehn Jahre älter als Ida, und die beiden paßten wunderbar zusammen, das hatte Gretel gut erkannt. 1943 wurde geheiratet, ein bißchen auch, weil sie fürchteten, Hermann könnte nicht zurückkommen aus Frankreich.
Aber er war zurückgekommen, das Ehepaar hatte sich ein Reetdachhäuschen in Luisendorf gepachtet, und Hermann baute sich als Melkmeister bei der Familie von Lenkwitz in Albershude eine Existenz auf. Es hingen dunkle Wolken über der Ehe, weil sie keine Kinder bekamen. Doch dann, 1953, war Isabelle geboren worden, nach zehn Jahren das späte Glück. Ida war über diese Zeit des Wartens und Verzagens ein wenig bitter geworden, Hermann aber blühte auf. Er vergötterte seine Tochter. Daß er nun so früh sterben mußte, mit Anfang Fünfzig, das war eine große Ungerechtigkeit.
Nachdenklich legte Gretel Stück für Stück der Kosmetika, die sie benötigte, in den Seifenbeutel. Daß im Leben immer die Besten zuerst sterben! dachte sie, machte das Licht aus und verließ das Bad. Sie zog ihr Kleid aus und statt dessen die weiße Bluse und das schwarze Wollkostüm an. Beides hatte sie in Erwartung der Todesnachricht aufgebügelt und bereitgehängt. Sie wunderte sich, daß sie so gefaßt war.
Hermann war in gewisser Weise auch ihr Mann gewesen. Vielleicht war sie durch die lange Zeit der Krankheit auf diesen Moment vorbereitet gewesen. Innerlich hatte sie bei ihrem letzten. Besuch in Luisendorf vor sechs Wochen schon von ihm Abschied genommen. Wir sehen uns wieder, hatten sie sich als letzten Satz mit auf den Weg gegeben, und jeder hatte etwas anderes damit gemeint. Wer weiß, vielleicht ging es Hermann jetzt viel besser. Sie war froh, daß sein Leiden ein Ende hatte.
Gretel führte schnell ein Telefongespräch. Dann nahm sie ihren Regenmantel, den kleinen schwarzen Hut mit der runden Krempe, den Koffer und ihre schwarze Lederhandtasche, verließ ihr Zimmer, stellte alles vor die Souterraintür, die seitlich aus der Villa hinausführte, und ging noch einmal zu einer letzten Kontrolle in die Küche.
Das Telefon der Trakenbergs klingelte schon wieder. Normalerweise wäre Gretel rangegangen, aber nun war sie in Eile. Sie schrieb einen Zettel für Vivien, erklärte dem Kind, daß es im Kühlschrank (in dem sie die Enten verstaut hatte) noch Suppe vom Vortage gebe und daß sie sich telefonisch von unterwegs melden würde.
Rasch erledigte sie in der Küche, was zu erledigen war, und eilte dann nach oben, um sich von Charlotte Trakenberg zu verabschieden. Die Hausherrin hatte sich mittlerweile angekleidet – sie trug ein Chanelkostüm mit Hahnentrittmuster – und war in der Halle damit beschäftigt, von den Topfgeranien, die in den
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