Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
ist Isabelles Zuhause, sie hat hier ihre Freunde, geht hier zur Schule ... nein. Das hätte auch Hermann nicht gewollt.»
«Na, da bin ich mir nicht so sicher!» erwiderte Gretel streng.
«Und ich könnte das auch gar nicht.»
«Du hast schon immer Angst vor Veränderungen gehabt, Ida. Aber laß dir das von mir gesagt sein: So eine Gelegenheit bietet sich nicht so schnell noch einmal. Und was willst du auch sonst tun? Du sagst selber, daß die Lenkwitzens dir nicht helfen werden. Aber die Trakenbergs tun das.»
Ida stopfte ihr Taschentuch in die Polster zurück. «Helfen!»
«Nun gut. Ich hab dir erklärt, die suchen händeringend eine Haushälterin. Ich habe mich bei ihnen für dich verwendet. Sie trauen mir.» Sie stellte ihre Tasse schwungvoll auf die Fensterbank, stand auf und wurde auf einmal laut. «Herrje, Ida, nun sei doch nicht so störrisch.»
«Das Kind! Leise!»
Gretel ging in der Stube aufgeregt ein paar Schritte hin und her. «Und so dumm! Ist doch wahr! Die bieten dir ein anständiges Geld für die Arbeit, das ist ein schönes Haus, eine, na ja, durchaus nette Familie. Und ihr kriegt sogar noch Kost und Logis frei. Du und dein Kind. Isabelle muß sowieso ab Herbst in Albershude zur Schule gehen. Dann kann sie das auch in Hamburg tun!» Sie trat zu Ida und legte ihr den Arm um die Schultern. «Und du und ich, wir wären wieder zusammen wie früher.»
Einen Moment sahen sie sich stumm an. Gretels Herz wurde weich beim Anblick ihrer Freundin. Wie sie so dasaß, ganz schmal geworden in den letzten Tagen, ganz schwach und lebensunfroh. Sie ließ Idas Hand los und setzte sich wieder auf ihren Sessel. «Und im übrigen: Ich habe das jetzt so entschieden.» Sie schmunzelte, und sogar Ida mußte lächeln.
Eine Weile herrschte Schweigen. Gretel dachte: Gleich habe ich sie soweit. Jedes weitere Wort schadet nur. Sie sah sich um in dem vertrauten Raum, in dem sie sich immer so behütet, so zu Hause gefühlt hatte. Das altdeutsche Sofa mit seiner geschwungenen Rückenlehne und dem waldgrünen Samtpolster. Der ovale Tisch davor, auf dem eine Häkeldecke lag. Das Bild über dem Sofa, auf dem am Rand eines Waldes vier barfüßige Wäscherinnen mit ihren Körben Steinstufen zu einem Brunnen hinabsteigen und überrascht in der nahen Lichtung einen Hirsch erblicken. Der Ebenholzschrank, im oberen Teil mit zwei Türen, in deren Kristallglas Blüten eingeschliffen waren. Die Messingstehlampe mit dem senfgelben Stoffschirm. Die dicken, an den Seiten mit Kordeln gerafften Gardinen. Die Alpenveilchentöpfe auf der Fensterbank. Das Buch mit dem Lesezeichen auf dem Beistelltisch. Der Korb mit dem Strickzeug am Boden, neben der Tür.
«Laß uns jetzt zu Bett gehen», sagte Ida, «es ist spät.»
«Das nützt dir auch nichts», entgegnete Gretel.
Ida stützte sich auf die Armlehnen des Sessels und erhob sich langsam. «Also gut. Also gut. Wir machen es. Ich werde mit nach Hamburg kommen. Ich werde mich bei deinen Trakenbergs vorstellen. Und wenn sie mich wollen, als Haushälterin ...» Den Rest des Satzes behielt sie für sich.
Gretel sprang auf, umarmte ihre Freundin und drückte sie fest an sich. «Das ist richtig so. Wirst schon sehen», flüsterte sie und ließ Ida wieder los.
Ida ging zum Ofen, der in der Ecke stand, öffnete die Klappe und sah hinein. Der Widerschein der Glut gab ihrem Gesicht etwas Leuchtendes und Optimistisches. Vom Seitengriff nahm sie den Feuerhaken, schürte kurz und geübt die restlichen Kohlen. Dann schloß sie die Klappe wieder und drehte sich zu Gretel um, die am Fenster stand und in die Nacht hinaussah.
«Weißt du», sagte Ida ernst, «ich habe mein Leben lang davon geträumt, alt zu werden mit einem Mann, alt. Richtig alt, verstehst du?»
Gretel blickte unverwandt in den Garten. «Ich weiß.»
«Ich habe davon geträumt, später einmal, wenn ich grau bin und Enkelkinder habe, mit Hermann an Sommerabenden draußen vor dem Haus auf der Bank zu sitzen. Nur wir beide. Hand in Hand. Und schweigen.»
Gretel drehte sich langsam um, beider Blicke trafen sich.
Ida hängte den Feuerhaken zurück. «Nichts zu dem Kind, vorläufig, Gretel, das mußt du mir versprechen. Sie ist im Moment ganz und gar durch den Wind. Ich will nicht, daß sie es erfährt, bevor ich mich endgültig entschieden habe, verstehst du?»
Gretel nickte. Sie trank den Rest Tee aus, nahm ihre Tasse und ging zur Tür. Ida schaltete noch schnell die Stehlampe aus, dann gingen sie die Treppe hinauf und zu
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