Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
Fenstern links und rechts des Eingangsportals standen, welke Blüten abzuzupfen.
«Ich fahre dann jetzt», erklärte Gretel. «Ich rufe Sie morgen an, wie lange ich bleiben muß.»
«Daß Sie mir das antun müssen ...»
«Sie sollten die Enten ...»
«Dann ruft eben noch diese ... diese Elke an ...», Charlotte Trakenberg ließ die Blüten aus ihrer Hand auf die Marmorplatte des Kaminsimses rieseln, «... sagt mir, sie käme nicht mehr wieder. Sei ihr zuviel. Was mache ich bloß?»
«Ich sagte ja schon ...»
«Jaja. Gehen Sie nur. Es ist ja auch meine Sache. Wie alles.»
«Also dann.» Gretel ging zur Tür zurück, die ins Souterrain führte, und verschwand im Keller. Mit dem Bus fuhr sie zur Stadtbahnstation Blankenese, von dort zum Altonaer Bahnhof. Sie kannte die Eisenbahnverbindungen nach Albershude – Luisendorf hatte keine eigene Bahnstation – auswendig. Pünktlich zur Abfahrt stand sie auf dem Bahnsteig. Die eineinhalbstündige Fahrt verbrachte sie allein in einem Abteil der ersten Klasse, das sie sich gegönnt hatte.
Gretel blickte aus dem Fenster. Die Sonne schien freundlich und warm. Der Zug fuhr durch die Vororte von Hamburg, vorbei an Wohnsiedlungen mit properen Nachkriegshäusern, die von wohlgepflegten Gärten umrahmt waren. Danach durchzogen die Schienen, auf denen die Eisenbahn gleichförmig ratternd fuhr, einen Wald und schließlich die weite Landschaft Schleswig-Holsteins. Da waren Landstraßen, die sich in prächtig blühende Kastanienalleen verwandelt hatten. Rapsfelder, die, früh dieses Jahr, in fast unwirklichem Gelb leuchteten. Weiden, auf denen Kühe grasten. Pferdekoppeln, Seen, Dörfer. Ortschaften mit heruntergelassenen Bahnschranken und aufragenden Kirchtürmen. Schließlich Albershude, an dessen verwittertem, altem Bahnhof der Zug quietschend hielt. Gretel stieg aus.
Fritz, ein Freund und Besitzer des Gasthofs Schmidt in Luisendorf, wartete schon auf dem Bahnsteig. Ihn hatte Gretel von Hamburg aus angerufen und gebeten, sie abzuholen. Sie schüttelten sich die Hände.
«Tja», sagte Gretel, «so sieht man sich wieder.»
Fritz nahm ihr Gepäck, sie gingen schweigend durch die kühle, leere Bahnhofshalle. Vor dem Gebäude stand der neue Opel Rekord von Fritz, auf den er, das merkte sie sofort, stolz wie Bolle war.
«Schöne Kutsche, Fritz!» bemerkte sie anerkennend und klopfte auf das Dach des apfelsinenfarbenen Autos.
Fritz lud ihr Gepäck ein. «Und dann geht es dir wie Hermann», erwiderte er und schloß die Heckklappe, «und du bist doot un' hast von allem nix gehabt.»
«Na, noch lebst du ja!»
Fritz hatte den Wagen ganz dicht an dem Holzzaun geparkt, der seitlich des Bahnhofsgebäudes den Fußweg vom Bahnsteig trennte. Über den Zaun hinweg wuchs ein großer Fliederbusch. Seine Blüten waren so schwer, daß die Zweige weit hinuntergesunken waren und fast das Autodach berührten.
Fritz schloß die Fahrertür auf, er und Gretel sahen sich an. «Und?» fragte sie. «Wie geht es Ida?»
«Wir machen uns im Dorf alle große Sorgen. Wir wissen nicht, ob sie das durchsteht. Du kennst sie ja, Gretel. Äußerlich ist sie ganz ruhig, aber ...» Er stieg ein, öffnete ihr von innen die Beifahrertür und ließ den Wagen an.
Gretel zog einen Zweig zu sich heran, schloß die Augen und roch daran. Flieder war immer ihr liebster Duft gewesen. Süß und altmodisch und auf eine geheimnisvolle Weise das Herz rührend. Es war ein Duft, der das ganze Leben in sich zu bergen schien: Erinnerungen an die Kindheit, die Heiterkeit des beginnenden Sommers, die flatternde Sehnsucht erster Liebe, aber auch das Wehmütige lag darin, die Vergänglichkeit von allem, der Schmerz des Abschieds.
«Kommst du?» fragte Fritz.
«Ja», antwortete Gretel, «nu mal langsam mit die alten Gäule.» Sie ließ den Zweig hochschnellen, nahm neben Fritz Platz, zog die Autotür zu und hoffte, als der Wagen sich in Bewegung setzte, daß sie auch dieses Mal wieder würde helfen können.
Plötzlich waren die Temperaturen gestürzt, ganz so, wie die Bauern es erwartet und befürchtet hatten. Die «Kalte Sophie» hatte Bodenfrost mit sich gebracht, die Nacht zu diesem fünfzehnten Mai war eisig und klar. Über das Land spannte sich ein schwarzer Himmel voller Sterne, der funkelnd am Horizont versank. Luisendorf lag ruhig da, alles schlief. Nur unter dem Reetdach des Corthenschen Hauses brannte noch Licht. Weich fiel es aus dem Stubenfenster in den Vorgarten, beschien die Hecke der Rhododendronbüsche, deren
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